ZKM | Musik Aktuell

Woche 44 - 48 / 5.11. - 2.12.07

Slot 1: Bipolar Stücke
1. Ludger Brümmer: Shine / 20:01
2. Shintaro Imai: Motion and Glitch Study / 2004/ 15:00
3. György Kurtág Jr.: Spaces talks / 12:00
4. György Kurtág Jr. & Miklós Lengyelfi: Zoo / 22:00
5. Andrea Szigetvári: Swinging Door / 18:00
6. Stevie Wishart: The Sound of Gesture / 15:00

Slot 2: Aktuelle Produktionen aus den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik
1. Paulo Ferreira-Lopes: Três Peças Curtas do Livro da Escuridão / 7:59
2. Pei-Yu Shi: Gedicht vom Wind des Herbstes / 2007/ 10:21
3. Michael Edwards: 24/7 / 2007 / 14:28
4. Agostino di Scipio: Mode of Interference / 2005/06 / 10:08
5. Ludger Brümmer: Move / 2006 / 17:04
6. Gilles Gobeil: Entre les deux rives du printemps / 18:07
7. Todor Todoroff: Around, above and weightless... / 20:00


Slot 1: Bipolar Stücke
1. Ludger Brümmer: Shine / 20:01
Komposition für Video, Elektronik und Tanz
Tanz: Csaba Horvaáth und Andrea Ladanyi
Software: Joachim Gossmann und Chandrasekhar Ramakrishnan

Der in sich widersprüchliche Gedanke fortzuschreiten jedoch im Gleichen zu bleiben, fasziniert mich seit langer Zeit. Dieser Gedanke kann Grundlage für Albträume, aber auch für interessante Denkmodelle sein. Konsequenterweise lassen sich unter anderem Fraktale dieser, der Dialektik widersprechenden Logik unterordnen. Musikalisch ist dieses Paradoxon in der Benutzung von einzelnen Grains formulierbar. Als Tonobjekt ist das Grain ein Einzelereignis, verdichtet man die Anzahl der Grains, so entsteht daraus eine aus vielen Einzelereignissen zusammengesetzte kontinuierliche Fläche, die sich danach wieder in singuläre Momente auflösen lässt. Ebenso verschmelzen einzelne Intervalle zu einem Pattern und dieses komprimiert sich schließlich zu einer höchst komplex strukturierten Fläche. Genau das geschieht im Verlauf der Komposition "Shine" - aus der Fläche entsteht nach einem Bruch das einzelne Event, daraus Gestalten, die immer komplexer werdend sich beschleunigen, wieder zur Fläche werden, um von da aus in der Coda langsam zu zerfallen. Es ist das immer Gleiche, das sich hier sich ständig wandelnd artikuliert. Dieser Gedanke wird ebenfalls auf der visuellen Ebene artikuliert. Bilder der Tänzer werden gemäß musikalischer Vorgaben rhythmisiert und in ihrer Gestalt verändert. Die menschlichen Gesten konfrontieren sich mit Bewegungen physikalischer Modelle, erzeugt mit der von ACROE in Grenoble entwickelten Software Genesis. Während die Tänzer jedoch als Duo auf der Bühne von einem aufgefächerten Triptychon mit den sich bewegenden Abbildern ihrer selbst umrahmt werden, steuern sie jedoch mit Hilfe des Fächerlasers den Ablauf der Videosequenzen und der klanglichen Elemente.
Die Totalität dieser Umgebung wird durch die Erweiterung des akustischen Klangraums in die den Zuhörer umgebende Sphäre noch gesteigert. Dies lässt die Zuschauer, aber auch die Akteure auf der Bühne als Teil eines Kosmos erscheinen innerhalb dessen sie sich befinden. Verwoben in dieses Netz von akustischen und visuellen Ebenen bewegen sich die Tänzer zugleich hilflos aber auch grandios innerhalb eines von ihnen kontrollierten Environments.
"Shine" wurde mit Hilfe der Software Genesis, Zirkonium, Common Music und Common Lisp Music realisiert. Genesis ist eine am Institut ACROE in Grenoble von Claude Cadoz, Annie Luciani und Jean-Loup Florens entwickelte Software zur Simulation schwingender Objekte. Diese Technologie zur Animation physikalische Modelle beruht auf der Anwendung der Newtonschen Gesetze. Die Simulation der Objekte lässt sich sowohl akustisch als auch visuell verfolgen.
Die Software Zirkonium wurde am ZKM entwickelt und ist in Budapest erstmals im Ausland hörbar. Sie steuert komplexeste Raumbewegung in Echtzeit oder innerhalb vorprogrammierter Bewegungsmodi. Mit Hilfe von Zirkonium lassen sich mehrkanalige Werke in unterschiedlichen Lautsprecherenvironments abspielen.
Common Music ist eine algorithmische Kompositionssprache und wurde von Heinrich Taube am ZKM und an der Universität von Illinois entwickelt. Common Lisp Musik ist eine Klangsynthesesprache und wird von William Schottstaedt im CCRMA der Stanford Universität entwickelt.


2. Shintaro Imai: Motion and Glitch Study / 2004/ 15:00
für Tanz, Bildverarbeitung und elektronischen Klang

Diese Arbeit wurde für Tanzimprovisation, digital verarbeitete visuelle Effekte und elektronische Klänge entwickelt. Das Live-Elektronik-System besteht aus zwei Macintosh Computern. Während des Stückes wird die Tanzvorführung auf der Bühne von einer digitalen Videokamera aufgenommen und an den Computer gesendet. Das gleiche Videosignal wird in Echtzeit auf verschiedene Arten verarbeitet sowie mittels DIPS (Digital Image Processing with Sound)-Software programmiert und anschließend auf die Leinwand projiziert. Einige Daten des Klanges, beispielsweise Amplitude, Anschlag und so weiter, werden zu den bildverarbeitenden Parametern hinzugefügt. Auf diese Weise ist das Bild auf der Leinwand innig mit dem Tanz und dem Klang verwoben. Die Hauptabsicht des Stückes ist, mit der Beziehung zwischen der stufenweisen bzw. plötzlichen Umwandlung der Bewegungen eines Tänzers, elektronischen Störklängen und visuellen Gefügen als Ergebnisse von Modulation zu experimentieren. Der Klang wurde durch Anwendung eines algorithmischen, in Echtzeit Klang erzeugenden Systems mittels erweiterter granularer Sampling-Techniken, die Imai "Sound-Creature" nannte, geschaffen und organisiert.
"Motion and Glitch Study" ist ein Auftragswerk für "Inventionen 2004" und wurde im Studio für Elektronische Musik der TU Berlin realisiert. Besonderer Dank gilt der Tänzerin Kazue Ikeda und DIPS-Entwickler Shu Matsuda, die dieses Projekt möglich gemacht haben.


3. György Kurtág Jr.: Spaces talks / 12:00
für Tonband, Live-Verräumlichung und Tanz

"We shape our spaces, and afterward our spaces shape us."/ "Wir formen unsere Räume, und danach formen unsere Räume uns." (W. Churchill, 1943)
Wir können mit unseren Ohren "sehen". Wir sind uns einer akustischen Architektur bewusst und ziehen es in Betracht, vertraute Klänge in unvertraute Umgebungen zu versetzen. Die Wand wird hörbar, oder vielmehr, die Wand hat eine hörbare Gestalt. Eine reale Umgebung, wie eine städtische Straße, ein Konzertsaal oder ein dichter Dschungel, ist klanglich viel komplexer als eine einzige Wand. Die Kombination zahlreicher Flächen, Objekte und Geometrien in einer komplizierten Umgebung schafft eine akustische Architektur. Mein Stück "space talks" ist sowohl von der Zirkonium-Software als auch vom Klangdom selbst inspiriert. Seine hohe Auflösung in Raum und Zeit gibt dem Komponisten nicht nur die Möglichkeit Klangquellen zu bewegen, sondern auch wie ein Architekt Klangräume zu "bauen".


4. György Kurtág Jr. & Miklós Lengyelfi: Zoo / 22:00
Synthesizer: György Kurtág Jr.
E-Bass: Miklos Lengyelfi
Tanz: Csaba Horvaáth und Andrea Ladanyi
Programmierung: Szabolcs Kerestes

Nachdem György Kurtág Jr. sein Kompositionsstudium in seinem Heimatland Ungarn abgeschlossen hatte, war er 1980 bis 1982 Mitglied des Team des Centre Européen de Recherche Musical in Metz. Zwischen 1980 und 1985 arbeitete er am IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) als Komponist, Forscher und musikalischer Assistent. Er arbeitete mit Maurizio Kagel, Peter Eötvös, Sylvano Bussotti zusammen und nahm an der "Tournée de Repons" von Pierre Boulez in den USA teil. Seit 1983 arbeitet er mit Ferenc Grünwalsky zusammen. Er komponierte die Musik zu einigen Spielfilmen, darunter "Variation Goldberg", der 1993 den Preis der Kinokritiker für die beste Filmmusik erhielt. 1996 stellte er mit dem Lugsoi-Quartett das Tonband von "Plan 9 from Outer Space" von Ed Wood neu zusammen, das in Paris im Kino präsentiert wurde. Danach wurde er Mitglied des Wissenschaftsrates des S.C.R.I.M.E. (Studio de Création et de Recherche en Informatique et Musique ƒlectroacoustique), wo er für Entwicklung und musikalische Computer-Forschung verantwortlich war. Seine Forschungen umfassten auch Analyse und Aufnahme instrumentaler Gesten sowie die Erschaffung neuer Instrumente. Für die Realisierung eines Prototyps eines Synthesewerkzeugs für Gitarren-Midi-Interface arbeitete er mit der deutschen Firma "Shadow" zusammen. Mit Daniel Kientzy (Saxophon) und Frank Ryan Le Mee (Gesang) gründete er das "Comité des Ftes", eine Gruppe, die Ende der 80er die Dimensionen des Theaters und die Improvisation erneuerte, indem sie ihre Inspiration aus dem Eklektizismus der derzeitigen und früheren Musik schöpfte. Seit 1999 arbeitet er mit anderen Komponisten und Entwicklern. Das Werk "Zwiegespräch" für Streichquartett, Synthesizer und "électronique hybride" komponierte er zusammen mit György Kurtág Senior (ein Auftragswerk der Paul-Sacher-Stiftung). Es wurde beim Festival de Lucerne (2000) uraufgeführt und später vom Arditti-Quartett (Festival für zeitgenössische Musik Huddersfield 2001) und vom Keller-Quartett (Wiener Festspiele 2002) interpretiert. "The Continuator Project" von Kurtág Jr. wurde beim 24sten "Hestejada de Las Arts d'Uzeste Musical" (2001), dem Festival "Sons d'Hiver" in Paris und den Festivals in Wien und Budapest (2002) aufgeführt.


5. Andrea Szigetvári: Swinging Door / 18:00
Für einen Tänzer, Live-Elektronik, die die Klangbearbeitung steuert, und Klangdom

Das Stück wurde inspiriert von einem Text Shunryu Suzukis, der den Atmungsprozess mit einer schwingenden Tür vergleicht: "Wenn wir einatmen betritt die Luft in die innere Welt, wenn wir ausatmen betritt sie die äußere Welt. Die innere Welt ist grenzenlos und die äußere Welt ist ebenfalls grenzenlos. Wir sagen innere oder äußere Welt, aber eigentlich gibt es nur eine ganze Welt. In dieser grenzenlosen Welt ist unser Hals wie eine schwingende Tür. Die Luft kommt herein und geht hinaus, wie jemand der durch eine schwingende Tür geht. Wenn du denkst "Ich atme", ist das "ich" extra. Es gibt kein "du", das "ich" sagen könnte. Was wir "ich" nennen, ist nur eine schwingende Tür, die sich bewegt, wenn wir ein- und ausatmen. Sie bewegt sich nur. Das ist alles. Wenn dein Verstand rein und ruhig genug ist, um dieser Bewegung zu folgen, gibt es nichts, kein "ich", keine Welt, keinen Verstand, niemanden, nur eine schwingende Tür."
Die Bewegungen von vorher aufgenommenen und vorher verarbeiteten und in Echtzeit verarbeiteten Klängen, die aus dem Hals kommen (sprechen, atmen), und die Bewegungen der Imitationen der imaginären schwingenden Tür werden von den Händen eines Tänzers aktiviert, dessen Bewegungen von einer Videokamera aufgenommen werden. Das Stück ist meinem Freund Stewart Collinson gewidmet, dessen Ideen und Stimme als Ausgangspunkte für die Komposition dienten.


6. Stevie Wishart: The Sound of Gesture / 15:00
Musik für Violine, Sensoren und Computer für den Klangdom

Stevie Wishart komponiert und improvisiert an der Schnittstelle zwischen Live-Elektronik, Violine, Gesang und computerbasierter Technologie. Die Bewegungen der Musikerin werden in Daten umgewandelt; mit Hilfe kleiner Sensoren (Beschleunigungsmesser, Gyroskope) an den Händen und Fingern, elektrischen Feld-Systemen wie einem Theremin auf der Geige oder einem Widerstand in Form eines Bogensensors an ihrem Bogen-Arm. Die Musik wird generiert, in dem jene Violinklänge und Gesten selektiert werden, die am effektivsten neue virtuelle Instrumente spielen können, die auf dem Laptop laufen und Granulation, Filter und Delays benutzen. Diese schließen neue Instrumente ein, die von der Physiologie des Ohres inspiriert wurden und die in Zusammenarbeit mit dem physiologischen Labor der Universität Cambridge entwickelt wurden. Die Geigerin hat dann die Möglichkeit, die Musik der Violine simultan umzuwandeln. Für dieses Auftragswerk für das Projekt Bipolar wird die Solistin diese transformierten Klänge zwischen den Lautsprechern des Klangdoms bewegen und so Schallwolken um den akustischen Klang und den physischen Aufenthaltsort der Geige zu kreieren.
Stevie Wishart: Komponistin/ Musikerin/ Konzept
Todor Todoroff: Technischer Leiter und Leiter der Systeme, Sensoren & Klang Analyse-Entwicklung, Konstruktion, virtuelle Instrumente, Max/MSP und Netzwerkkoordination
Nick Rothwell: Software-Architekt, Computermusik- Designer und -Programmierer, Max/MSP und Netzwerkkoordination
Ian Winter: Neurologe (Hörwahrnehmung in Bezug auf neuronale Informationsverarbeitung), Institut für Physiologie an der University of Cambridge
Mit Unterstützung eines Sciart Production - Awards (2005-2006), der vom Wellcome Trust an Margie Medlin und Stevie Wishart verliehen wurde. In Zusammenarbeit mit dem Physiological Laboratory der University of Cambridge.
Projektunterstützung: ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Deutschland, www.zkm.de; FoAM, Brüssel; STEIM "Studio for Electro Instrumental Music", Amsterdam, www.steim.nl; ART ZOYD Centre Transfrontalier de Production et de Création Musicales, Valenciennes, Frankreich, www.artzoyd.com; ARTeM (ART, Recherche, Technologie et Musique), Brüssel. Die Musik für dieses Projekt wurde zunächst als Teil von "Quartet" entwickelt, geleitet und entworfen von Margie Medlin.
Projekt Management: Andrew Logan.



Slot 2: Aktuelle Produktionen aus den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik
Dokumentations-CD in Kooperation mit der Neuen Zeitschrift für Musik und der ZKM-Dokumentation zum Jubiläum 10 Jahre ZKM in Hallenbau A

1. Paulo Ferreira-Lopes (*1972 in Portugal) / 7:59
Três Peças Curtas do Livro da Escuridão (Drei kurze Stücke aus dem Buch der Dunkelheit) für Bariton-Saxofon, Zuspielband und Live-Elektronik, 2007

Das Buch der Dunkelheit ist Teil einer vierbändigen Sammlung: Das Buch der Dunkelheit, ... des Vergessens, ... der Lumineszenz und ... der Visionen. Diese vier Bücher sind eine Art Tagebuch und ein Reservoir mit großartigem musikalischem Material, das auf täglichen Empfindungen durch Visionen, Klänge etc. basiert. Das Buch der Dunkelheit ruft vor allem persönliche Erlebnisse hervor, die sich auf das Gefühl von Ungerechtigkeit und nicht begreifbaren Tatsachen beziehen. Das Buch der Dunkelheit ist vor allem eine Aufzeichnung von Gedanken, in denen Traurigkeit und Empörung vorherrschen. Die drei Stücke schaffen eine Einheit, deren Kern des musikalischen Diskurses sich um Gefühle des Verlassenwerdens drehen.


2. Pei-Yu Shi (*1973 in Taipei) / 2007/ 10:21
Gedicht vom Wind des Herbstes für Klavier, Saxofon, Schlagzeug und Tonban
Auftragswerk des ZKM | Institut für Musik und Akustik und »MaerzMusik« Berlin

Ausgangspunkt meiner Komposition ist ein Gedicht des Kaisers Wu (Hang Wu Di) aus der Hang-Dynastie, das ich in Wort und Sinn verändert und umgeschrieben habe. Das in diesem Gedicht so poetisch formulierte Bild, seine Klanglichkeit und seinen Rhythmus möchte ich in meiner Musik einfangen. Auch das Wesen der Qin-Musik, die Zartheit und Subtilität des Klangs der Qin (der chinesischen Griffbrettzither) und das Besondere des Qin-Gesangs fließen in meine Komposition ein.


3. Michael Edwards (* 1968 in Cheshire/England) / 2007 / 14:28
24/7 für Viola und Live-Elektronik

Ein Violaspieler benutzt die vier Finger der linken Hand, um die Saiten zu stoppen. Es gibt 24 mögliche Permutationen der vier Finger, von diesen 24 gibt es 620448401733239439360000 Permutationen, von denen sieben in diesem Stück verwendet werden.


4. Agostino di Scipio (*1962 in Neapel) / 2005/06 / 10:08
Mode of Interference für autonomes Feedback-System mit Trompete und Elektronik

Diese Arbeit ist ein komponiertes dynamisches System, das auf einer Audiorückkopplungsschleife basiert. An den beiden Enden der Schleife sind ein Mini-Mikrofon (innerhalb der Trompete) und (zwei) Lautsprecher positioniert, dazwischen eine Trompete (Schlauch mit seinen natürlichen Resonanzen) und ein signalverarbeitender Computer. Mit einem sehr hohen Rückgesprächgewinn ergibt die Schleife den so genannten Larsen-Effekt. Der Trompeter erforscht das Schallpotenzial des Systems, indem er Larsen in einiger Weise behindert, entweder die Resonanzen des Instruments modulierend oder Geräusche vorstellend. Der Computer justiert dynamisch den Rückgesprächgewinn und versucht das Gesamtsystem ständig im Gleichgewicht zu halten und vermeidet Signalsättigung. Der Computer wandelt auch Töne um und verlängert die produzierten Töne; die umgewandelten Töne selbst behindern die Rückkopplungsschleife. Das Gesamtsystem bleibt immer abhängig von Fluktuationen und Störungen von der umgebenden Umwelt.


5. Ludger Brümmer (*1958) / 2006 / 17:04
Move für Klavier, Live-Elektronik und Video

In dieser Komposition präsentiert sich das Klavier als das alles kontrollierende Meta-Instrument. In ähnlicher Weise wie das Cembalo im Barock als harmonisches Zentrum des Orchesters Verwendung fand, wird die moderne Version des Cembalos hier mit verschiedenen technischen Instrumenten erweitert. Mehr noch: Der Computer und sein Spieler verschmelzen geradezu mit dem Klavier und dem Pianisten; während der Computerspieler die Reaktion und Aktion seines Instruments ständig neu bestimmt, sorgt der Pianist mit seinen Aktionen für die nötigen Auslöser, ohne die nichts passieren würde. Mit dem angeschlagenen Ton bestimmt der Pianist, ob ein Video abgespielt wird oder ob ein Sample erklingt. Zusätzlich kann der gerade gespielte Ton durch den Computer klanglich verändert wiedergegeben werden.
Musikalisch bewegt sich dieses Werk von der Klangfläche zu einer akkordisch rhythmischen Ausgestaltung, wobei sich die rhythmisierte Klangstruktur zu einer spannungsgeladenen Klimax entwickelt. Die prozesshafte Ausgestaltung der Musik stellt eine extreme Ausbildung der Variationsform dar, in der sich bestimmte Informationseinheiten graduell verändern.


6. Gilles Gobeil (*1954 in Sorel, Québec/Kanada) / 18:07
Entre les deux rives du printemps - Freie Annäherung an das Paradies (Teil III der Göttlichen Komödie) von Dante (1265-1321)

Es ist ein Poem der Geschwindigkeit, Lichtgeschwindigkeit, Energie ... Ich wollte auf symbolische Weise Dantes Führerin Beatrice in der Reise durch die Himmel würdigen. Zu diesem Zweck konstruierte ich das Stück mit langsam wechselnden Bewegungen von Spannung und Entspannung, die entsprechend den Bewegungen des Aufstiegs, der Geschwindigkeit, des Lichts erklingen und sich im Gedicht wiederfinden.
Gilles Gobeil vergleicht seine Arbeit als Klangkünstler mit der eines mittelalterlichen Steinmetz, der das Material an den Bruchstellen prüft. Er bevorzugt kantige, klar konturierte Formen, liebt die Dynamik von Spannung und Entspannung und ist geradezu besessen von extremen akustischen Texturen. Er gehört er zu den bedeutendsten elektroakustischen Komponisten Kanadas.


featuring aus Bipolar-Stücke:
7. Todor Todoroff: Around, above and weightless... / 20:00
für Sensoren und Live-Elektronik-Improvisation

Einige Themen in meiner Musik kehren immer wieder: Der Gebrauch von Stimmen, die mehrfachen Verwandlungen, die die ursprünglichen Klänge radikal verändern während sie eine klare Spur ihrer energetischen Form beibehalten, der Gebrauch von Partikelwolken, der ausgedehnte Gebrauch von Verräumlichung und Multiphonie.
Aber neue Instrumente inspirieren zu neuen Arbeitsweisen. Die durch die Steuersoftware "Zirkonium" ermöglichte ausgesprochen exakte Verräumlichung im 44-Lautsprecher Environment des Klangdom ermöglichte eine Spatialisation, die mit herkömmlichen Surround-Systemen, bei denen der Klang positioniert wurde, indem man alle Lautsprecher auf dem gleichen Niveau ansteuerte und das deswegen nur für die wenigen Zuhörer, die im feinen, aber doch sehr kleinen "Sweet Spot" saßen, akustisch Sinn machte, einfach nicht möglich war. Die Möglichkeit, Klänge überzeugend durch die oder nahe der Mitte zu bewegen, brachte mich dazu, alte Ideen der Verräumlichung, die ich schon aufgegeben hatte, weil sie in den meisten Sound Systemen einfach nicht konkretisierbar waren, wieder zu beleben.
Also erweiterte ich Zirkonium mittels Algorithmen und realisierte so meine Ideen. Die Klangverräumlichung in diesem Stück geht oft über das schiere Bewegen und Anordnen von Klängen hinaus; sie verschwinden und erscheinen wieder, verschmelzen miteinander, lösen sich auf, Klanglagen werden abgetrennt, rhythmische Formen werden im Raum angelegt und prägen ununterbrochene Klangmaterialien. Die Verräumlichung und die Klangumwandlungen werden beide von Sensoren (Beschleunigungsmesser, Gyroskope, digitale Theremine, Kontaktmikrophone) in Echtzeit kontrolliert. Die Verbindung von Klanganalyse und Sensorendaten mit der Verräumlichung, die sie kontrollieren, schafft auch eine starke Bindung zwischen der Natur der Klänge und ihrer Manifestation im Raum. Dieser Wunsch, elektroakustische Musik über die Verräumlichung hinaus zu interpretieren und teils mit Hilfe von Sensorendaten zu improvisieren, ist in den letzten zehn Jahre während meiner Arbeit mit der Choreographin Michle Noiret und ihrer Tänzer entstanden. Die Installation des Klangdoms bedeutet auch eine Vorherrschaft von Klängen, die um und über dem Publikum angeordnet sind, was einen Eindruck von schwebenden, schwerelosen Klangquellen begünstigt. Dieses Gefühl von Schwerelosigkeit schwingt schon seit geraumer Zeit in mir und dieses Instrument erlaubt mir, es musikalisch tiefer als jemals zuvor auszuloten.
Todor Todoroff


Hören Sie Mitschnitte aus dem vielfältigen Konzertbetrieb im ZKM-Kubus sowie künstlerische Eigenproduktionen des ZKM | Institut für Musik und Akustik.