ZKM | Musik Aktuell
Woche 44 - 48 / 5.11. - 2.12.07
Slot 1: Bipolar Stücke
1. Ludger Brümmer: Shine / 20:01
2. Shintaro Imai: Motion and Glitch Study / 2004/ 15:00
3. György Kurtág Jr.: Spaces talks / 12:00
4. György Kurtág Jr. & Miklós Lengyelfi: Zoo / 22:00
5. Andrea Szigetvári: Swinging Door / 18:00
6. Stevie Wishart: The Sound of Gesture / 15:00
Slot 2: Aktuelle Produktionen aus den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik
1. Paulo Ferreira-Lopes: Três Peças Curtas do Livro da Escuridão / 7:59
2. Pei-Yu Shi: Gedicht vom Wind des Herbstes / 2007/ 10:21
3. Michael Edwards: 24/7 / 2007 / 14:28
4. Agostino di Scipio: Mode of Interference / 2005/06 / 10:08
5. Ludger Brümmer: Move / 2006 / 17:04
6. Gilles Gobeil: Entre les deux rives du printemps / 18:07
7. Todor Todoroff: Around, above and weightless... / 20:00
Slot 1: Bipolar Stücke
1. Ludger Brümmer: Shine / 20:01
Komposition für Video, Elektronik und Tanz
Tanz: Csaba Horvaáth und Andrea Ladanyi
Software: Joachim Gossmann und Chandrasekhar Ramakrishnan
Der in sich widersprüchliche Gedanke fortzuschreiten jedoch im Gleichen zu bleiben, fasziniert mich seit
langer Zeit. Dieser Gedanke kann Grundlage für Albträume, aber auch für interessante Denkmodelle
sein. Konsequenterweise lassen sich unter anderem Fraktale dieser, der Dialektik widersprechenden Logik
unterordnen. Musikalisch ist dieses Paradoxon in der Benutzung von einzelnen Grains formulierbar. Als Tonobjekt
ist das Grain ein Einzelereignis, verdichtet man die Anzahl der Grains, so entsteht daraus eine aus vielen
Einzelereignissen zusammengesetzte kontinuierliche Fläche, die sich danach wieder in singuläre Momente
auflösen lässt. Ebenso verschmelzen einzelne Intervalle zu einem Pattern und dieses komprimiert sich
schließlich zu einer höchst komplex strukturierten Fläche. Genau das geschieht im Verlauf der
Komposition "Shine" - aus der Fläche entsteht nach einem Bruch das einzelne Event, daraus Gestalten, die
immer komplexer werdend sich beschleunigen, wieder zur Fläche werden, um von da aus in der Coda langsam zu
zerfallen. Es ist das immer Gleiche, das sich hier sich ständig wandelnd artikuliert. Dieser Gedanke wird
ebenfalls auf der visuellen Ebene artikuliert. Bilder der Tänzer werden gemäß musikalischer
Vorgaben rhythmisiert und in ihrer Gestalt verändert. Die menschlichen Gesten konfrontieren sich mit
Bewegungen physikalischer Modelle, erzeugt mit der von ACROE in Grenoble entwickelten Software Genesis.
Während die Tänzer jedoch als Duo auf der Bühne von einem aufgefächerten Triptychon mit den
sich bewegenden Abbildern ihrer selbst umrahmt werden, steuern sie jedoch mit Hilfe des Fächerlasers den
Ablauf der Videosequenzen und der klanglichen Elemente.
Die Totalität dieser Umgebung wird durch die Erweiterung des akustischen Klangraums in die den Zuhörer
umgebende Sphäre noch gesteigert. Dies lässt die Zuschauer, aber auch die Akteure auf der Bühne als
Teil eines Kosmos erscheinen innerhalb dessen sie sich befinden. Verwoben in dieses Netz von akustischen und
visuellen Ebenen bewegen sich die Tänzer zugleich hilflos aber auch grandios innerhalb eines von ihnen
kontrollierten Environments.
"Shine" wurde mit Hilfe der Software Genesis, Zirkonium, Common Music und Common Lisp Music realisiert. Genesis ist
eine am Institut ACROE in Grenoble von Claude Cadoz, Annie Luciani und Jean-Loup Florens entwickelte Software zur
Simulation schwingender Objekte. Diese Technologie zur Animation physikalische Modelle beruht auf der Anwendung der
Newtonschen Gesetze. Die Simulation der Objekte lässt sich sowohl akustisch als auch visuell verfolgen.
Die Software Zirkonium wurde am ZKM entwickelt und ist in Budapest erstmals im Ausland hörbar. Sie steuert
komplexeste Raumbewegung in Echtzeit oder innerhalb vorprogrammierter Bewegungsmodi. Mit Hilfe von Zirkonium
lassen sich mehrkanalige Werke in unterschiedlichen Lautsprecherenvironments abspielen.
Common Music ist eine algorithmische Kompositionssprache und wurde von Heinrich Taube am ZKM und an der
Universität von Illinois entwickelt. Common Lisp Musik ist eine Klangsynthesesprache und wird von William
Schottstaedt im CCRMA der Stanford Universität entwickelt.
2. Shintaro Imai: Motion and Glitch Study / 2004/ 15:00
für Tanz, Bildverarbeitung und elektronischen Klang
Diese Arbeit wurde für Tanzimprovisation, digital verarbeitete visuelle Effekte und
elektronische Klänge entwickelt. Das Live-Elektronik-System besteht aus zwei Macintosh Computern. Während
des Stückes wird die Tanzvorführung auf der Bühne von einer digitalen Videokamera aufgenommen und an
den Computer gesendet. Das gleiche Videosignal wird in Echtzeit auf verschiedene Arten verarbeitet sowie mittels
DIPS (Digital Image Processing with Sound)-Software programmiert und anschließend auf die Leinwand projiziert.
Einige Daten des Klanges, beispielsweise Amplitude, Anschlag und so weiter, werden zu den bildverarbeitenden
Parametern hinzugefügt. Auf diese Weise ist das Bild auf der Leinwand innig mit dem Tanz und dem Klang verwoben.
Die Hauptabsicht des Stückes ist, mit der Beziehung zwischen der stufenweisen bzw. plötzlichen Umwandlung
der Bewegungen eines Tänzers, elektronischen Störklängen und visuellen Gefügen als Ergebnisse
von Modulation zu experimentieren. Der Klang wurde durch Anwendung eines algorithmischen, in Echtzeit Klang
erzeugenden Systems mittels erweiterter granularer Sampling-Techniken, die Imai "Sound-Creature" nannte, geschaffen
und organisiert.
"Motion and Glitch Study" ist ein Auftragswerk für "Inventionen 2004" und wurde im Studio für
Elektronische Musik der TU Berlin realisiert. Besonderer Dank gilt der Tänzerin Kazue Ikeda und DIPS-Entwickler
Shu Matsuda, die dieses Projekt möglich gemacht haben.
3. György Kurtág Jr.: Spaces talks / 12:00
für Tonband, Live-Verräumlichung und Tanz
"We shape our spaces, and afterward our spaces shape us."/ "Wir formen unsere Räume, und danach formen unsere
Räume uns." (W. Churchill, 1943)
Wir können mit unseren Ohren "sehen". Wir sind uns einer akustischen Architektur bewusst und ziehen es in
Betracht, vertraute Klänge in unvertraute Umgebungen zu versetzen. Die Wand wird hörbar, oder vielmehr,
die Wand hat eine hörbare Gestalt. Eine reale Umgebung, wie eine städtische Straße, ein
Konzertsaal oder ein dichter Dschungel, ist klanglich viel komplexer als eine einzige Wand. Die Kombination
zahlreicher Flächen, Objekte und Geometrien in einer komplizierten Umgebung schafft eine akustische
Architektur. Mein Stück "space talks" ist sowohl von der Zirkonium-Software als auch vom Klangdom selbst
inspiriert. Seine hohe Auflösung in Raum und Zeit gibt dem Komponisten nicht nur die Möglichkeit
Klangquellen zu bewegen, sondern auch wie ein Architekt Klangräume zu "bauen".
4. György Kurtág Jr. & Miklós Lengyelfi: Zoo / 22:00
Synthesizer: György Kurtág Jr.
E-Bass: Miklos Lengyelfi
Tanz: Csaba Horvaáth und Andrea Ladanyi
Programmierung: Szabolcs Kerestes
Nachdem György Kurtág Jr. sein Kompositionsstudium in seinem Heimatland Ungarn abgeschlossen hatte, war er
1980 bis 1982 Mitglied des Team des Centre Européen de Recherche Musical in Metz. Zwischen 1980 und 1985
arbeitete er am IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique) als Komponist, Forscher und
musikalischer Assistent. Er arbeitete mit Maurizio Kagel, Peter Eötvös, Sylvano Bussotti zusammen und nahm
an der "Tournée de Repons" von Pierre Boulez in den USA teil. Seit 1983 arbeitet er mit Ferenc Grünwalsky
zusammen. Er komponierte die Musik zu einigen Spielfilmen, darunter "Variation Goldberg", der 1993 den Preis der
Kinokritiker für die beste Filmmusik erhielt. 1996 stellte er mit dem Lugsoi-Quartett das Tonband von
"Plan 9 from Outer Space" von Ed Wood neu zusammen, das in Paris im Kino präsentiert wurde. Danach wurde er
Mitglied des Wissenschaftsrates des S.C.R.I.M.E. (Studio de Création et de Recherche en Informatique et
Musique ƒlectroacoustique), wo er für Entwicklung und musikalische Computer-Forschung verantwortlich war.
Seine Forschungen umfassten auch Analyse und Aufnahme instrumentaler Gesten sowie die Erschaffung neuer Instrumente.
Für die Realisierung eines Prototyps eines Synthesewerkzeugs für Gitarren-Midi-Interface arbeitete er mit
der deutschen Firma "Shadow" zusammen. Mit Daniel Kientzy (Saxophon) und Frank Ryan Le Mee (Gesang) gründete er
das "Comité des Ftes", eine Gruppe, die Ende der 80er die Dimensionen des Theaters und die Improvisation
erneuerte, indem sie ihre Inspiration aus dem Eklektizismus der derzeitigen und früheren Musik schöpfte.
Seit 1999 arbeitet er mit anderen Komponisten und Entwicklern. Das Werk "Zwiegespräch" für Streichquartett,
Synthesizer und "électronique hybride" komponierte er zusammen mit György Kurtág Senior (ein
Auftragswerk der Paul-Sacher-Stiftung). Es wurde beim Festival de Lucerne (2000) uraufgeführt und später vom
Arditti-Quartett (Festival für zeitgenössische Musik Huddersfield 2001) und vom Keller-Quartett (Wiener Festspiele
2002) interpretiert. "The Continuator Project" von Kurtág Jr. wurde beim 24sten "Hestejada de Las Arts d'Uzeste
Musical" (2001), dem Festival "Sons d'Hiver" in Paris und den Festivals in Wien und Budapest (2002) aufgeführt.
5. Andrea Szigetvári: Swinging Door / 18:00
Für einen Tänzer, Live-Elektronik, die die Klangbearbeitung steuert, und Klangdom
Das Stück wurde inspiriert von einem Text Shunryu Suzukis, der den Atmungsprozess mit einer schwingenden Tür
vergleicht: "Wenn wir einatmen betritt die Luft in die innere Welt, wenn wir ausatmen betritt sie die äußere Welt.
Die innere Welt ist grenzenlos und die äußere Welt ist ebenfalls grenzenlos. Wir sagen innere oder äußere Welt, aber
eigentlich gibt es nur eine ganze Welt. In dieser grenzenlosen Welt ist unser Hals wie eine schwingende Tür. Die Luft
kommt herein und geht hinaus, wie jemand der durch eine schwingende Tür geht. Wenn du denkst "Ich atme", ist das
"ich" extra. Es gibt kein "du", das "ich" sagen könnte. Was wir "ich" nennen, ist nur eine schwingende Tür, die sich
bewegt, wenn wir ein- und ausatmen. Sie bewegt sich nur. Das ist alles. Wenn dein Verstand rein und ruhig genug ist,
um dieser Bewegung zu folgen, gibt es nichts, kein "ich", keine Welt, keinen Verstand, niemanden, nur eine
schwingende Tür."
Die Bewegungen von vorher aufgenommenen und vorher verarbeiteten und in Echtzeit verarbeiteten
Klängen, die aus dem Hals kommen (sprechen, atmen), und die Bewegungen der Imitationen der imaginären schwingenden
Tür werden von den Händen eines Tänzers aktiviert, dessen Bewegungen von einer Videokamera aufgenommen werden. Das
Stück ist meinem Freund Stewart Collinson gewidmet, dessen Ideen und Stimme als Ausgangspunkte für die Komposition
dienten.
6. Stevie Wishart: The Sound of Gesture / 15:00
Musik für Violine, Sensoren und Computer für den Klangdom
Stevie Wishart komponiert und improvisiert an der Schnittstelle zwischen Live-Elektronik, Violine, Gesang und
computerbasierter Technologie. Die Bewegungen der Musikerin werden in Daten umgewandelt; mit Hilfe kleiner
Sensoren (Beschleunigungsmesser, Gyroskope) an den Händen und Fingern, elektrischen Feld-Systemen wie einem
Theremin auf der Geige oder einem Widerstand in Form eines Bogensensors an ihrem Bogen-Arm. Die Musik wird
generiert, in dem jene Violinklänge und Gesten selektiert werden, die am effektivsten neue virtuelle Instrumente
spielen können, die auf dem Laptop laufen und Granulation, Filter und Delays benutzen. Diese schließen neue
Instrumente ein, die von der Physiologie des Ohres inspiriert wurden und die in Zusammenarbeit mit dem
physiologischen Labor der Universität Cambridge entwickelt wurden.
Die Geigerin hat dann die Möglichkeit, die Musik der Violine simultan umzuwandeln. Für dieses Auftragswerk für
das Projekt Bipolar wird die Solistin diese transformierten Klänge zwischen den Lautsprechern des Klangdoms
bewegen und so Schallwolken um den akustischen Klang und den physischen Aufenthaltsort der Geige zu kreieren.
Stevie Wishart: Komponistin/ Musikerin/ Konzept
Todor Todoroff: Technischer Leiter und Leiter der Systeme, Sensoren & Klang Analyse-Entwicklung, Konstruktion,
virtuelle Instrumente, Max/MSP und Netzwerkkoordination
Nick Rothwell: Software-Architekt, Computermusik- Designer und -Programmierer, Max/MSP und Netzwerkkoordination
Ian Winter: Neurologe (Hörwahrnehmung in Bezug auf neuronale Informationsverarbeitung), Institut für
Physiologie an der University of Cambridge
Mit Unterstützung eines Sciart Production - Awards (2005-2006), der vom Wellcome Trust an Margie Medlin und
Stevie Wishart verliehen wurde. In Zusammenarbeit mit dem Physiological Laboratory der University of Cambridge.
Projektunterstützung: ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Deutschland, www.zkm.de; FoAM,
Brüssel; STEIM "Studio for Electro Instrumental Music", Amsterdam, www.steim.nl; ART ZOYD Centre Transfrontalier
de Production et de Création Musicales, Valenciennes, Frankreich, www.artzoyd.com; ARTeM (ART, Recherche,
Technologie et Musique), Brüssel. Die Musik für dieses Projekt wurde zunächst als Teil von
"Quartet" entwickelt, geleitet und entworfen von Margie Medlin.
Projekt Management: Andrew Logan.
Slot 2: Aktuelle Produktionen aus den Studios des ZKM | Institut für Musik und Akustik
Dokumentations-CD in Kooperation mit der Neuen Zeitschrift für Musik und der ZKM-Dokumentation zum
Jubiläum 10 Jahre ZKM in Hallenbau A
1. Paulo Ferreira-Lopes (*1972 in Portugal) / 7:59
Três Peças Curtas do Livro da Escuridão (Drei kurze Stücke aus dem Buch der Dunkelheit) für Bariton-Saxofon,
Zuspielband und Live-Elektronik, 2007
Das Buch der Dunkelheit ist Teil einer vierbändigen Sammlung: Das Buch der Dunkelheit, ... des Vergessens, ... der
Lumineszenz und ... der Visionen. Diese vier Bücher sind eine Art Tagebuch und ein Reservoir mit großartigem
musikalischem Material, das auf täglichen Empfindungen durch Visionen, Klänge etc. basiert.
Das Buch der Dunkelheit ruft vor allem persönliche Erlebnisse hervor, die sich auf das Gefühl von Ungerechtigkeit
und nicht begreifbaren Tatsachen beziehen. Das Buch der Dunkelheit ist vor allem eine Aufzeichnung von Gedanken,
in denen Traurigkeit und Empörung vorherrschen. Die drei Stücke schaffen eine Einheit, deren Kern des musikalischen
Diskurses sich um Gefühle des Verlassenwerdens drehen.
2. Pei-Yu Shi (*1973 in Taipei) / 2007/ 10:21
Gedicht vom Wind des Herbstes für Klavier, Saxofon, Schlagzeug und Tonban
Auftragswerk des ZKM | Institut für Musik und Akustik und »MaerzMusik« Berlin
Ausgangspunkt meiner Komposition ist ein Gedicht des Kaisers Wu (Hang Wu Di) aus der Hang-Dynastie, das ich in
Wort und Sinn verändert und umgeschrieben habe. Das in diesem Gedicht so poetisch formulierte Bild, seine
Klanglichkeit und seinen Rhythmus möchte ich in meiner Musik einfangen. Auch das Wesen der Qin-Musik, die
Zartheit und Subtilität des Klangs der Qin (der chinesischen Griffbrettzither) und das Besondere des Qin-Gesangs
fließen in meine Komposition ein.
3. Michael Edwards (* 1968 in Cheshire/England) / 2007 / 14:28
24/7 für Viola und Live-Elektronik
Ein Violaspieler benutzt die vier Finger der linken Hand, um die Saiten zu stoppen. Es gibt 24 mögliche
Permutationen der vier Finger, von diesen 24 gibt es 620448401733239439360000 Permutationen, von denen sieben in
diesem Stück verwendet werden.
4. Agostino di Scipio (*1962 in Neapel) / 2005/06 / 10:08
Mode of Interference für autonomes Feedback-System mit Trompete und Elektronik
Diese Arbeit ist ein komponiertes dynamisches System, das auf einer Audiorückkopplungsschleife basiert. An den
beiden Enden der Schleife sind ein Mini-Mikrofon (innerhalb der Trompete) und (zwei) Lautsprecher positioniert,
dazwischen eine Trompete (Schlauch mit seinen natürlichen Resonanzen) und ein signalverarbeitender Computer. Mit
einem sehr hohen Rückgesprächgewinn ergibt die Schleife den so genannten Larsen-Effekt. Der Trompeter erforscht
das Schallpotenzial des Systems, indem er Larsen in einiger Weise behindert, entweder die Resonanzen des
Instruments modulierend oder Geräusche vorstellend. Der Computer justiert dynamisch den Rückgesprächgewinn
und versucht das Gesamtsystem ständig im Gleichgewicht zu halten und vermeidet Signalsättigung. Der Computer
wandelt auch Töne um und verlängert die produzierten Töne; die umgewandelten Töne selbst behindern die
Rückkopplungsschleife. Das Gesamtsystem bleibt immer abhängig von Fluktuationen und Störungen von der
umgebenden Umwelt.
5. Ludger Brümmer (*1958) / 2006 / 17:04
Move für Klavier, Live-Elektronik und Video
In dieser Komposition präsentiert sich das Klavier als das alles kontrollierende Meta-Instrument. In ähnlicher
Weise wie das Cembalo im Barock als harmonisches Zentrum des Orchesters Verwendung fand, wird die moderne Version
des Cembalos hier mit verschiedenen technischen Instrumenten erweitert. Mehr noch: Der Computer und sein Spieler
verschmelzen geradezu mit dem Klavier und dem Pianisten; während der Computerspieler die Reaktion und Aktion
seines Instruments ständig neu bestimmt, sorgt der Pianist mit seinen Aktionen für die nötigen Auslöser, ohne
die nichts passieren würde. Mit dem angeschlagenen Ton bestimmt der Pianist, ob ein Video abgespielt wird oder
ob ein Sample erklingt. Zusätzlich kann der gerade gespielte Ton durch den Computer klanglich verändert
wiedergegeben werden.
Musikalisch bewegt sich dieses Werk von der Klangfläche zu einer akkordisch rhythmischen Ausgestaltung, wobei sich
die rhythmisierte Klangstruktur zu einer spannungsgeladenen Klimax entwickelt. Die prozesshafte Ausgestaltung der
Musik stellt eine extreme Ausbildung der Variationsform dar, in der sich bestimmte Informationseinheiten graduell
verändern.
6. Gilles Gobeil (*1954 in Sorel, Québec/Kanada) / 18:07
Entre les deux rives du printemps - Freie Annäherung an das Paradies (Teil III der Göttlichen Komödie) von Dante
(1265-1321)
Es ist ein Poem der Geschwindigkeit, Lichtgeschwindigkeit, Energie ... Ich wollte auf symbolische Weise Dantes
Führerin Beatrice in der Reise durch die Himmel würdigen. Zu diesem Zweck konstruierte ich das Stück mit
langsam wechselnden Bewegungen von Spannung und Entspannung, die entsprechend den Bewegungen des Aufstiegs, der
Geschwindigkeit, des Lichts erklingen und sich im Gedicht wiederfinden.
Gilles Gobeil vergleicht seine Arbeit als Klangkünstler mit der eines mittelalterlichen Steinmetz, der das
Material an den Bruchstellen prüft. Er bevorzugt kantige, klar konturierte Formen, liebt die Dynamik von Spannung
und Entspannung und ist geradezu besessen von extremen akustischen Texturen. Er gehört er zu den bedeutendsten
elektroakustischen Komponisten Kanadas.
featuring aus Bipolar-Stücke:
7. Todor Todoroff: Around, above and weightless... / 20:00
für Sensoren und Live-Elektronik-Improvisation
Einige Themen in meiner Musik kehren immer wieder: Der Gebrauch von Stimmen,
die mehrfachen Verwandlungen, die die ursprünglichen Klänge radikal verändern während sie eine klare Spur ihrer
energetischen Form beibehalten, der Gebrauch von Partikelwolken, der ausgedehnte Gebrauch von Verräumlichung und
Multiphonie.
Aber neue Instrumente inspirieren zu neuen Arbeitsweisen. Die durch die Steuersoftware "Zirkonium"
ermöglichte ausgesprochen exakte Verräumlichung im 44-Lautsprecher Environment des Klangdom ermöglichte eine
Spatialisation, die mit herkömmlichen Surround-Systemen, bei denen der Klang positioniert wurde, indem man alle
Lautsprecher auf dem gleichen Niveau ansteuerte und das deswegen nur für die wenigen Zuhörer, die im feinen,
aber doch sehr kleinen "Sweet Spot" saßen, akustisch Sinn machte, einfach nicht möglich war. Die Möglichkeit,
Klänge überzeugend durch die oder nahe der Mitte zu bewegen, brachte mich dazu, alte Ideen der Verräumlichung,
die ich schon aufgegeben hatte, weil sie in den meisten Sound Systemen einfach nicht konkretisierbar waren,
wieder zu beleben.
Also erweiterte ich Zirkonium mittels Algorithmen und realisierte so meine Ideen. Die Klangverräumlichung in
diesem Stück geht oft über das schiere Bewegen und Anordnen von Klängen hinaus; sie verschwinden und erscheinen
wieder, verschmelzen miteinander, lösen sich auf, Klanglagen werden abgetrennt, rhythmische Formen werden im
Raum angelegt und prägen ununterbrochene Klangmaterialien. Die Verräumlichung und die Klangumwandlungen werden
beide von Sensoren (Beschleunigungsmesser, Gyroskope, digitale Theremine, Kontaktmikrophone) in Echtzeit kontrolliert.
Die Verbindung von Klanganalyse und Sensorendaten mit der Verräumlichung, die sie kontrollieren, schafft auch eine
starke Bindung zwischen der Natur der Klänge und ihrer Manifestation im Raum. Dieser Wunsch, elektroakustische Musik
über die Verräumlichung hinaus zu interpretieren und teils mit Hilfe von Sensorendaten zu improvisieren, ist in
den letzten zehn Jahre während meiner Arbeit mit der Choreographin Michle Noiret und ihrer Tänzer entstanden. Die
Installation des Klangdoms bedeutet auch eine Vorherrschaft von Klängen, die um und über dem Publikum angeordnet
sind, was einen Eindruck von schwebenden, schwerelosen Klangquellen begünstigt. Dieses Gefühl von
Schwerelosigkeit schwingt schon seit geraumer Zeit in mir und dieses Instrument erlaubt mir, es musikalisch
tiefer als jemals zuvor auszuloten.
Todor Todoroff
Hören Sie Mitschnitte aus dem vielfältigen Konzertbetrieb im ZKM-Kubus sowie künstlerische Eigenproduktionen des ZKM | Institut für Musik und Akustik.