Studioforum

Woche 07-12 / 11.2.08 - 23.03.08

Portrait Studio für Elektronische Musik der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden:

1. Michael Jordan / Ranken für MIDI-Flügel / 2006 / 4:53 - eine Version
2. Dagmara Jack / Cys – Amorph für 4-Kanal-Tonband / 2007 / 8:26
3. Michael Jordan / Nichtigkeit der Steine für Sopranstimme, Baritonstimme, zwei Steinspiele und Echtzeitelektronik / 2006/07 / 15:33
Gabriele Lesch, Sopran; Johannes Voit, Bariton
4. Theodor Schubach / Für vier Lautsprecher und ein Mikrophon / 2007 / 8:00
5. Alwyn Westbrooke / Conjuration für Violine und Live-Elektronik / 2004 / 11:15
Alwyn Westbrooke, Violine
6. Michael Jordan / Ranken
für MIDI-Flügel / 2006 / 5:14 - andere Version

Das Dresdner Studio für Elektronische Musik wurde 1984 in Kooperation zwischen der Hochschule für Musik und der Technischen Universität Dresden von Friedbert Wissmann gegründet. Parallel zur Ausbildung der Studenten an elektronischen Tasteninstrumenten wurde Musik-Software entwickelt. Von 1993 bis 2006 leitete Prof. Dr. Wilfried Jentzsch das Studio und setzte neue ästhetische und pädagogische Schwerpunkte. Seit 2006 vertritt Michael Flade die Professur für Elektronische Musik und nimmt die Aufgaben der Studioleitung wahr. Für die Tontechnik/Informatik ist weiterhin Jürgen Lange verantwortlich.
Elektronische Musik ist an der HfM Dresden integraler Bestandteil des klassischen Kompositionsstudiums. In vier Semestern Vorlesung werden die technischen Grundlagen vermittelt; daneben gibt es acht Semester lang wöchentlichen Einzelunterricht. Einen wesentlichen Schwerpunkt der Arbeit bildet die Auseinandersetzung mit live-elektronischen und algorithmischen Kompositionsmöglichkeiten. Darüber hinaus werden interdisziplinäre Projekte – vor allem im Hinblick auf die Verbindung von Musik und Film bzw. von Musik und Tanz – besonders gefördert. Regelmäßige Workshops mit namhaften Komponisten (in den vergangenen Jahren beispielsweise Hans Tutschku, Ludger Brümmer, Andre Bartetzki sowie Orm Finnendahl) ergänzen das Studienangebot.
Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Studios liegt in der Unterstützung von Aufführungen elektroakustischer und live-elektronischer Musik innerhalb und außerhalb der Hochschule – sowohl von Kompositionsstudierenden als auch von etablierten Komponisten – sowie in der Vermittlung von ästhetischen und kompositionstechnischen Aspekten elektronischer Musik in Vortragsveranstaltungen für verschiedene Gruppen (Schüler, Studierende anderer Fachbereiche oder auch Lehrende von Musikschulen).
www.sounddesign.unimelb.edu.au

Zu den Werken und Komponisten:

1. Michael Jordan: Ranken
Ranken ist eine mit Max programmierte algoritmische Komposition für MIDI-Flügel. Auf der Grundlage festgelegter Strukturen generieren Zufallsprozesse mit jeder Aufführung neue Interpretationen, die zueinander ähnlich sind. Vergleichbar mit Ranken in der Natur erfahren Grundtendenzen jeweils individuelle Ausprägungen.
Michael Jordan

Michael Jordan, geboren 1984 in Frankfurt (Oder), seit 2004 Kompositionsstudium an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden (Komposition bei Prof. Lothar Voigtländer, Elektronische Musik bei Prof. Wilfried Jentzsch und Michael Flade). Im Studienjahr 2007/08 im Rahmen des Erasmusprogramms Kompositionsstudium am Conservatorio Santa Cecilia di Roma (Komposition bei Prof. Maurizio Gabrieli, Elektronische Musik bei Prof. Giorgio Nottoli). In den Jahren 1999 bis 2004 mehrfach Preisträger bei den Bundeswettbewerben „Schüler komponieren“ und den Landeswettbewerben (Brandenburg) „Jugend komponiert“, Teilnahme an zahlreichen Förderkursen; 2007 Förderpreis für junge Komponisten und Musikwissenschaftler des Sächsischen Musikbunds e.V.

2. Dagmara Jack: Cys – Amorph
In meinem Stück Cys – Amorph wollte ich mich – aus philosophischer wie psychologischer Sicht – mit dem Thema Umwandlung beschäftigen, z.B. in Bezug zu einem einzelnen Menschen, dessen verschiedene Umstände und Lebenserfahrungen sich verändern und ihm helfen sich zu entwickeln, der aber im Kern trotzdem unverändert bleibt und am Ende des Lebens zu dem Punkt zurückkehrt, wo er schon einmal war. Gleichermaßen stellt sich die Frage, inwieweit die Umstände einen beeinflussen können, und umgekehrt, inwieweit ein Mensch die Realität beeinflussen kann.
Auf der musikalischen Ebene wird das Thema der Umwandlung durch die Verarbeitung eines einzelnen Klanges gezeigt. So wird beispielsweise eine im Stück verwendete Aufnahme der menschlichen Stimme durch Filter, Granularsynthese und andere Klangbearbeitungsprozesse Schritt für Schritt verändert, bis sie am Ende des Stückes nicht mehr deutlich als eine menschliche Stimme erkennbar ist.
Dagmara Jack

Dagmara Jack wurde 1984 in Kattowitz (Polen) geboren. Mit 13 Jahren bekam sie den ersten Preis im Nationalen Kompositionswettbewerb „Patri Patriae“ für das Werk Post Tenebras Lux. Im gleichen Jahr begann sie Kompositionsunterricht bei Alexander Lason, Professor der Musikhochschule in Kattowitz, zu nehmen. Im Jahr 2000 erwarb sie den Grand Prix im nationalen Kompositionswettbewerb „Crescendo“. Im Jahr 2001 bekam sie den ersten Preis sowie den Preis für eine junge Komponistin für das Werk Raasz für Sopran und Tonband beim internationalen Kompositionswettbewerb der elektroakustischen Musik „Musica Nova“ in Prag. Im September 2001 wurde ihr Werk „Luminescence“ während des Festivals „Warschauer Herbst“ uraufgeführt.
Mit 17 Jahren begann sie ein Studium an der Musik-Akademie der Stadt Basel. Seit 2006 studiert sie bei Wilfried Krätzschmar an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber Dresden. Daneben nahm sie Unterricht u.a. bei Jonathan Harvey, Tristan Murail, Stanislaw Moryto, Thomas Kessler und Marek Stachowski. Sie ist Stipendiatin der Stiftung Lyra (Zürich), der Thyll-Dürr Stiftung (Zürich) und der Vera & Oscar Ritter Stiftung (Hamburg). Ihre Werke wurden bei verschiedenen Festivals für Neue Musik aufgeführt (Warschauer Herbst, Forum der Neuen Musik, Schlesische Musiktage u.a.) sowie im Rundfunk gesendet (z.B. Radio Katowice, Tschechischer Rundfunk Vltava, Co-op Radio Vancouver und Radio Deutschland).

3. Michael Jordan: Nichtigkeit der Steine
Der Komposition Nichtigkeit der Steine liegt als Textmaterial der Liber Ecclesiastes 1, 1-11 aus der lateinischen Bibelfassung zugrunde. Dieses thematisiert die Eitelkeit aller menschlichen Mühe. Bilder aus dem Umfeld der Natur charakterisieren die permanente Wiederkehr von Abläufen: Generationsfolgen, Erdrotation, Wind, Wasserströme.
Sowohl der Text als auch das Klangmaterial werden zerlegt und neu zusammengesetzt. Je eine Gesangsstimme liefert dem Rechner das Grundmaterial oder verändert verschiedene Aspekte der Klanggestaltung.
Die Steinspiele bieten Assoziationen an die ständige Wiederkehr bestimmter Ereignisse in der Natur. Außerdem definieren sie die möglichen Kombinationen der Singstimmen für die Elektronik sowie die Zuordnung der Verarbeitungsparameter.
Michael Jordan

Worte des Predigers, des Sohnes Davids, des Königs in Jerusalem.
Nichtigkeit der Nichtigkeiten! – spricht der Prediger; Nichtigkeit der Nichtigkeiten, alles ist Nichtigkeit! Welchen Gewinn hat der Mensch von all seinem Mühen, mit dem er sich abmüht unter der Sonne? Eine Generation kommt, und eine Generation geht; aber die Erde besteht in Ewigkeit. Und die Sonne geht auf, und die Sonne geht unter, und sie strebt ihrem Ort zu, wo sie wieder aufgeht. Der Wind geht nach Süden und wendet sich nach Norden. Immer wieder sich wendend geht er dahin, und zu seinem Ausgangspunkt kehrt der Wind zurück. Alle Flüsse gehen ins Meer, und das Meer wird nicht voll. An den Ort, wohin die Flüsse gehen, dorthin gehen sie immer wieder. Alle Worte mühen sich ab. Nichts vermag ein Mensch zu sagen. Das Auge wird nicht satt zu sehen und das Ohr nicht voll vom Hören. Das, was war, ist das was wieder sein wird. Und das was getan wurde, ist das was wieder getan wird. Und es gibt gar nichts Neues unter der Sonne. Gibt es ein Ding, von dem einer sagt: „Siehe, das ist neu“? Längst ist es gewesen für die Zeitalter, die vor uns gewesen sind. Da gibt es keine Erinnerung an die Früheren. Und an die Künftigen, die sein werden, auch an sie wird man sich nicht mehr erinnern bei denen, die noch später sein werden.
(Elberfelder Bibel, Der Prediger 1, 1-11)

4. Theodor Schubach: Für vier Lautsprecher und ein Mikrophon
Klänge werden immer auch durch den Raum geformt, in dem sie entstehen.
Die Konstellation Lautsprecher und Mikrophon ermöglicht die Auseinandersetzung mit den klangformenden Eigenschaften eines Raumes. Deren Darstellung geschieht durch Klangobjekte, welche sich aus den Eigenschaften des Raumes bilden, und durch die Begegnung mit dem Raum ihre Veränderung erfahren.
Theodor Schubach

Theodor Schubach wurde 1985 in Berlin geboren. Ab 1997 Unterricht an der Spezialschule für Musik Dresden im Fach Klavier (bei Prof. Marlies Jacob und Prof. Gunnar Nauck) und Improvisation (bei Anja Damianow und Prof. Ute Pruggmayer-Philipp). Seit 2005 Studium Komposition bei Prof. Jörg Herchet in Dresden. Unterricht im Fach Elektronische Musik bei Prof. Wilfried Jentzsch und seit 2006 bei Michael Flade.

5. Alwyn Westbrooke: Conjuration
„Conjuration“ bedeutet auf deutsch „Beschwörung“, kann aber auch die billigsten Zaubertricks eines Taschenspielers bezeichnen.
Das Stück basiert auf ziemlich einfachen Verfahren. Die latente Harmonik der von der Violine gespielten Linien und Floskeln wird von der Elektronik aufgegriffen und in zweierlei Weise erweitert: Zum einen werden Momente des Violinspiels aufgenommen und schleifenweise mit unterschiedlichem Verfremdungsgrad wiedergegeben, gelegentlich als Klangteppich, öfter jedoch als klangliche Erweiterung der dazu gespielten Violinstimme. Zum anderen werden zum realen Violinspiel in Echtzeit zusätzliche Frequenzen hinzugefügt, die ein harmonisches Gebilde ergeben, das den dreitönigen Mustern entspricht, aus denen die Violinstimme zusammengestellt ist. Durch die Eigenschaft der Violine, je nach Kontaktstelle des Bogens auf der Saite verschieden starke Obertonanteile zu erzeugen, wirken diese hinzugefügten Frequenzen manchmal eher als harmonische, manchmal eher als klangfarbliche Erweiterung des Violinspiels.
Auch die Violine wird nach einem der erwähnten dreitönigen Muster in Quarten und Tritoni hochgestimmt – sowohl, um durch die höhere Spannung des Instruments eine silbernere Klangfarbe zu erzeugen, als auch, um das Spiel der Harmonie und der Klangfarbe bis in die Resonanz der Violine hinein zu integrieren.
Alwyn Westbrooke

Alwyn Tomas Westbrooke wurde 1982 in Auckland, Neuseeland, geboren. Er studierte Violine und Komposition an der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland. In dieser Zeit wurden seine Werke u.a. durch das New Zealand Symphony Orchestra aufgeführt. Ab 2003 setzte er sein Studium an der Hochschule für Musik Dresden fort, wo er sein Diplom im Fach Komposition sowie Violine abschloss. 2006 bis 2007 spielte er in den 1. Violinen der Dresdner Philharmonie. Er studiert seit April 2007 Komposition an der Hochschule für Musik Karlsruhe bei Prof. Dr. Wolfgang Rihm.



Elektronische Studios aus ganz Deutschland und dem Ausland werden hier portraitiert und stellen ihre aktuellen Projekte, Forschungsvorhaben und Entwicklungsarbeiten vor. Das Studio-Forum dient langfristig dem Austausch zwischen den Studios als Produktionsstätten vielfältiger elektroakustischer Musik und Klangkunst.