Studioforum

Woche 15 - 22 / 06.04. - 31.05.09

Werke von Hans Tutschku
Hans Tutschku (1966) ist seit 1982 Mitglied des "Ensembles für Intuitive Musik Weimar". Er studierte Komposition in Dresden, Den Haag und Paris, begleitete ab 1989 Karlheinz Stockhausen auf mehreren Konzertzyklen, um sich in die Klangregie einweisen zu lassen und folgte 1996 Kompositionsworkshops mit Klaus Huber und Brian Ferneyhough.
2003 promovierte er bei Prof. Dr. Jonty Harrison an der Universität Birmingham (PhD). Er lehrte elektroakustische Komposition an der Weimarer Hochschule für Musik, am IRCAM in Paris, in Montbéliard und der Technischen Universität Berlin.
Seit 2004 wirkt er als Kompositionsprofessor und Leiter des Studios für elektroakustische Musik an der Harvard University (Boston).
Einladungen zu Konzerten und Meisterkursen führten ihn in mehr als 30 Länder. Seine Werke wurden mit verschiedenen internationalen Preisen ausgezeichnet : Bourges, CIMESP Sao Paulo, Hanns-Eisler-Preis, Prix Ars Electronica, Prix Noroit.
2005 wurde ihm der Weimar-Preis verliehen.

1
Epexergasia - Neun Bilder
4-kanalige elektroakustische Komposition / Auftrag des IMEB Bourges / 2000 / Dauer: 12:00 min / Beatriz Ferreyra gewidmet

Epexergasia - Neun Bilder beschreibt das Verschwinden, das sich Auflösen menschlicher Stimme. Die Komposition gliedert sich in neun Abschnitte, die teilweise klar voneinander unterscheidbar sind und teilweise graduell ineinander übergehen. Das Ausgangsmaterial stammt von Gesangs- und Lautäußerungen verschiedener Kulturen und einigen griechischen Sprachfetzen. Die neun Bilder sind kontrastierende Energieverhältnisse zwischen Stimm- und Zivilisationsklang einerseits und zwischen Auftauchen und Untergehen der Erkennbarkeit der menschlichen Stimme andererseits.

2
La joie ivre
2-kanalige elektroakustische Komposition / Studio : Klang Projekte Weimar / 2002 / Dauer: 10:24 min

Nach einer Serie sehr fragmentierter Kompositionen sucht La joie ivre wieder nach einer größeren Kontinuität. Sie steht in direkter Verbindung mit Bachs Motette Jesu meine Freude. Viele Klänge der elektroakustischen Komposition sind Bearbeitungen der Aufnahme der ersten Choralzeile. Sie werden verbunden mit einigen kurzen Musikfragmenten anderer Kulturen (Indonesien, Ungarn, Afrika) und Aufnahmen singender und spielender Kinder in Lissabon und Jakarta. La joie ivre (Die trunkene Freude), bringt für mich gleichzeitig Lebensfreude und Erfüllung, als auch deren Infragestellung und Bedrohung zum Ausdruck.

3
object - obstacle
8-kanalige elektroakustische Komposition / Auftrag von Folkmar Hein / Studio : Klang Projekte Weimar/ 2004 / Dauer: 12:00 min / Folkmar Hein gewidmet
Uraufführung in seiner 8-kanaligen Originalversion am 25. Juni 2004 zum Festival Inventionen Berlin

Die Komposition object - obstacle geht von Klangmaterial aus, das mit Kontaktmikrophonen an selbstgebauten Resonatoren aufgenommen wurde. Nach Experimenten mit Computersimulationen physikalischer Modelle (mit Programmen wie Modalys und Genesis) interessierte ich mich mehr und mehr für die Kopplung verschiedener schwingender Körper und konstruierte einige solcher Objekte aus Federn, Holzkästen und verschiedenen Kleinteilen. Die Aufnahmen sind aber nicht nur als Klangquellen für weitere Transformationen gedacht, sondern bergen schon musikalisch strukturierte Sequenzen, d.h. die Objekte wurden gespielt. Die elektroakustische Komposition vervielfältigt die gespielten Gesten in einen weiten Klangraum und kombiniert sie mit synthetisierten Klängen physikalischer Modelle.

4
Das Bleierne Klavier
für Klavier und live-Elektronik
2000-2003 / Dauer: 12:00 min
Aufnahme : 15. Januar 2005, Harvard University, John Knowles Paine Hall, Klavier : H.T.

Die elektroakustischen Bearbeitungen der Klavierklänge in Echtzeit werden alle durch die Spielweise des Pianisten gesteuert. Während des Spiels werden die musikalischen Gesten des Instrumentalisten analysiert und in Abhängigkeit derer vorbestimmte Reaktionen im elektroakustischen Part ausgelöst. Dies bietet dem Spieler eine sehr direkte Kommunikation mit seinem "Begleiter". Die Energie des Spielers erfährt eine direkte Entsprechung in den Bearbeitungen und ihrer Klangverteilung im Raum.

5
Rojo
8-kanalige elektroakustische Komposition / Auftrag: Radio Berlin-Brandenburg / Studio : Klang-Projekte-Weimar / 2004 / Dauer: 15:06 min / Jonty Harrison gewidmet

Rojo ist ein Herantasten an den Gedanken der Gleichzeitigkeit unterschiedlichster, über den Erdball verstreuter Klangphänomene. Die Komposition verbindet Aufnahmen verschiedener Kulturen in ein "tiefrotes" Klangritual. Erinnerungsfetzen verschiedener Reisen verschmelzen und wechseln ihre Idendität, verlassen ihre Erkennbarkeit und werden zu Klangmassen Ð andere behalten ihre solistischen Eigenschaften und markieren Orte und Zeit.

6
Eikasia
8-kanalige elektronische Komposition / Studio : Klang Projekte Weimar / 1999 / Dauer: 12:15 min / Michael von Hintzenstern gewidmet
Uraufführung in seiner 8-kanaligen Originalversion am 18. September 1999 beim Festival elektronischer Musik in Luzern (Schweiz)

Eikasia - Repräsentation - Modell - Abbild - Vergleich - Mutmaßung.

Diese Komposition ist meine erste Arbeit mit "physical modelling". In all meinen vorangegangenen elektroakustischen Stücken wurden immer existierende Klangquellen weiterverarbeitet. Mit "Eikasia" unternehme ich den Versuch, eine gleiche Klangkomplexität mit reiner Synthese zu erreichen, wie wir sie von akustischen Objekten kennen. Am Anfang steht des Modell der Realität und die Formalisation realistischer Klänge mittels physikalischer Repräsentation im Computer. Während der Realisation verglich ich die Synthese mit der Objektivität des realen, überprüfbaren Ausgangspunktes und erreichte schließlich eine breite klingende Skala: von Abstraktion bis zur realistischen Abbildung. Die Gliederung der raumgreifenden Formteile resultiert aus der Komplexität der Klänge selbst, sie ist sozusagen während des Arbeitsprozesses gewachsen. Alle Klänge wurden mit dem Programm Modalys vom IRCAM realisiert.

7
human-space-factory
8-kanalige elektroakustische Komposition / Studio : Musiques et Recherches Ohain / 1999 / Dauer: 11:49 min / Annette vande Gorne gewidmet

Die Klänge dieser Komposition stammen von gesungenen und gesprochenen Lautäußerungen und Maschinengeräuschen. Einige Klavierklänge formen ein Bindeglied zwischen beiden Klangfamilien.
Der 8-kanalige Klangraum wird nicht nur zum Plazieren und Bewegen von Klangstrukturen verwendet sondern ist direkt an Klangtransformationen gebunden. Alle Klänge wurden direkt als 8-kanalige Raumbilder komponiert, deren Bewegungen in Übergängen zwischen den Klangfamilien resultieren. Verschiedene Dichte- und Intensitätsgrade strukturieren die Komposition in drei große Teile, die durch die Materialauswahl immer wieder Beziehungs-"punkte" und -"linien" aufzeigen. Menschliche Lautäußerungen in einem energiegeladenen Raum.

8
résorption-coupure
4-kanalige elektroakustische Komposition / Studio : Klang Projekte Weimar / 2000 / Dauer: 14:27 min / Auftrag von Denis Dufour

In résorption-coupure werden Klänge physikalischer Modelle und Aufnahmen verschiedener asiatischer Kulturen miteinander verschmolzen. Die synthetischen Klänge wurden mit dem Programm "Genesis" von ACROE erstellt. Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten schwingender Körper konnten im Computer simuliert und über ihre natürlichen Begrenzungen hinaus erweitert werden. Es entstanden gezupfte und angeschlagene Objekte, die in der realen Welt nicht vorhanden wären. résorption-coupure spielt mit zwei Zeitaspekten: Kontinuität und Unterbrechung. Im Verlaufe des Stückes wird die Tatsache der ständigen Unterbrechungen selbst zu einem kontinuierlichen Prozeß. Die Ausgangsklänge aus Asien sind nicht "anekdotisch" benutzt worden. Mein Interesse lag mehr in ihren Energie- und Raumqualitäten im Verhältnis zu den synthetischen Klängen. résorption-coupure ist ein Auftrag von Denis Dufour. Die synthetischen Klänge wurden im Rahmen eines Genesis-Workshop am ZKM Karlsruhe realisiert, die Endabmischung im Studio der KlangProjekteWeimar fertiggestellt.

9
Migration pétrée
8-kanalige elektroakustische Komposition / Auftrag des Französischen Kulturministeriums und INA-GRM / Studio : GRM Paris 2001 / Dauer: 13:35 min / Herbert Velasquez gewidmet
Uraufführung in seiner 8-kanaligen Originalversion am 1. Juni 2001 innerhalb des "Cycle Acousmatique Son-Mu" vom GRM

Zwei Bilder sind der Ausgangspunkt von Migration pétrée: ausschwärmende Steine und in Käfige eingesperrte Vögel. Beide Metaphern dienen als Modelle für Energie- und Intensitätsentwicklungen. Außer an einigen wenigen Stellen sind die Ausgangsklänge nicht oder nur kaum erkennbar.
Wir treffen auf die Energien von Steinen am Strand, unter dem Gewicht von Schritten; von kleinen Kieselsteinimpulsen in der Hand bis hin zur Wucht herabstürzender Felsbrocken. Einige Steine haben sich selbst in das Innere eines Klaviers "verirrt" und ergeben Klänge, die als harmonische Struktur der Komposition dienen. Die Steine treffen auf die Energien und Klänge von Tausenden von Vögeln, die in ihren Käfigen auf dem Marktplatz von Porto ausharren. Der Ausdruck ihrer lebendigen Energie steht im krassen Widerspruch zum Eingesperrtsein: sie erheben sich nur mühsam und kreuzen sich mit Steingruppen, die mit einer vogelartigen Leichtigkeit dahingleiten.


Elektronische Studios aus ganz Deutschland und dem Ausland werden hier portraitiert und stellen ihre aktuellen Projekte, Forschungsvorhaben und Entwicklungsarbeiten vor. Das Studio-Forum dient langfristig dem Austausch zwischen den Studios als Produktionsstätten vielfältiger elektroakustischer Musik und Klangkunst.