Studioforum
Juni / Juli / August / September 2012
Vom Klang der Dinge, Klangarbeiten von Heinz Weber
01. Come un Forno / 2004 / Ausschnitt: 10:11
02. bass 110 / 2002 / Ausschnitt: 9:57
03. Westbound Passage / 2000 / Ausschnitt: 5:06
04. 6-pack with interludes / 2000 / Ausschnitt: 12:04
05. interludes (with snare-drum)
06. Musica Analogica / 1997 / Ausschnitt: 10:12
07. Parcour II (Enden) / 2011 / Ausschnitt: 10:47
Seit 1993 arbeitet Heinz Weber ausschließlich im Bereich Klangkunst. Es entstehen Hörstücke,
Klanginstallationen, Konzerte und Performances sowie Vorträge zu dieser Arbeit und Workshops.
Zentrum der Arbeit ist die Frage nach der "Klanglichkeit der Dinge", der Erforschung der
akustischen Materialität von einzelnen Gegenständen (z.B. eines Tonbandgerätes in "Revox B 77
MK II") über medienreflektive Situationen ("Musica Analogica", Performance mit raumgreifender
Endlosschleife) bis zu komplexen geo-sozialen bzw. geo-historischen Systemen (Soundscapes,
"Hamburg am Wasser - ich höre Brücken", "Westbound Passage"). Besondere Aufmerksamkeit richtet
Heinz Weber auf medienspezifische Materialität (Vorträge:"Nachdenken über zwei Medien",
"Radio lügt") und in seinen Live-Performances auf die "Handlung", die Handhabung von Material
als musikalische Interpretationsform ("Das Salz zum Erden", Live-Performance).
www.klangkunst-heinzweber.de
1. Come un Forno
Als Student an der Hamburger Kunsthochschule begegnete ich in den späten siebziger Jahren dem
japanischen Musiker und Klangkünstler Kosugi, der eng mit John Cage und der Merce Cunningham
Dance Company zusammengearbeitet hatte. Von Kosugi hörte ich zum ersten Mal den Begriff "sound
cooking", der mich damals sehr beeindruckt hatte. Und auch in meiner heutigen künstlerischen
Arbeit hat die Idee von "Kochen" als einer Form des Komponierens eine grosse Bedeutung.
Kunst steht für mich für sich selbst und nicht als ein Idiom oder ein Symbol für etwas anderes.
Als ich über eine mögliche Arbeit für das Projekt "Art in cooking" nachdachte, entschied ich mich
dafür, Formen und Begriffe zu verwenden, die in irgendeiner Beziehung zu "Kochen" stehen, z.B. die
Zahl 4 - für die gewöhnlich 4 Platten eines Küchenherds. Die Form eines Küchenherds bildet auch
die Grundstruktur der Installation.
COME UN FORNO ist eine Klangskulptur mit den Geräuschen von Grundnahrungsmitteln wir Getreide,
Reis, Salz, Gewürzen etc. Die gleichen Grundnahrungsmittel, die in der Klangkomposition aus den
Lautsprechern zu hören sind, liegen auch auf der Membran der Lautsprecher und transformieren so
ihren eigenen Klang.
Ein Menü für die Ohren - geniessen Sie es - Guten Appetit !
2. bass 110
Peter Niklas Wilson, Kontrabass
c 2002
10 Jahre MEX Dortmund
"Hundert und zehn gestrichene und gestreichelte Grüsse zum zehnten Jahr. Die Kunst ist, Schweres
leicht zu machen, dann aber wird die Luft auch dünner - sollte man beyzeyten wissen."
Material: die 4 Leersaiten eines Kontrabasses, gestrichen,
Länge je 5 Sekunden.
1 bis max. 110 Additionen des gleichen Tones (soundfiles). Jeder neu erklingende Ton hat zum
vorhergehenden einen Abstand im mikrotemporären Bereich von 2 samples bis 594 samples
(--> 44,1 samples entspricht 1 Millisekunde).
Mich interessiert die Medienspezifik beim klanglichen Resultat dieser Arbeit. Sie lässt sich nur
in dieser Form realisieren und könnte z.B. nicht live von 110 Kontrabassisten aufgeführt werden.
3. Westbound Passage
"Westbound Passage" ist ein Stück, bei dem der Raum zu einer klanggestaltenden Komponente wird.
Dies geschieht durch Klangbewegung im Raum.
a. Kontext
Ansatz dieser Arbeit ist, "soundscape" als künstlerisches Genre über die dokumentarische
Bestandsaufnahme von geografischen Klangräumen, von Klangbildern eines geografisch/politisch definierten Gebietes hinaus zu erweitern. Es geht dabei um die Frage nach neuen Ordnungssystemen des Klangmaterials.
Das "soundscape" von Westbound Passage ist die Distanz zwischen der "Alten" und der "Neuen Welt".
Diese Distanz scheint mir in der historischen Dimension viel interessanter als in der geografischen
und so habe ich nicht die Klanglichkeit des Atlantischen Ozeans bearbeitet sondern die erste
Überfahrt von Christoph Kolumbus.
b. Thema
Die Figur Kolumbus, die Entdeckung Amerikas und die Tatsache, dass Kolumbus diese Entdeckung nie
machen wollte zeigt Parallelen zu einem Kernthema dieser Klangarbeit, der Frage nach Irrtum,
Wirklichkeit, Straffen und Dehnen von Wirklichkeiten - von Klangwirklichkeiten, Hörwirklichkeiten.
KolumbusŤ Vision, den Seeweg nach Indien (Kathei) zu entdecken, war gekoppelt an zahlreiche Fehler,
Fälschungen und hartnäckige Fehlinterpretationen. Doch in einer Situation, in der Wahrheit nicht
definiert, sondern rein spekulativ ist, gibt es keine Fehler oder Fälschung. Nachdem er Land
entdeckt hatte glaubte er, sein Ziel erreicht zu haben: "
Aber dazwischen lag das unbekannte und unvorstellbare Amerika. Aus diesem Grund konnte Kolumbus
Indien nicht finden, hätte es niemals finden können; Amerika stellte sich ihm als Hindernis in den
Weg."
(Gianni Granzotto, "Christoph Kolumbus", 1984)
Während der Passage 1492 berechnete Kolumbus täglich die zurückgelegte Entfernung und trug die
Messergebnisse in sein Logbuch ein. Seiner Mannschaft hingegen gab er stets geringere Entfernungen
an. Kolumbus schreibt in sein Logbuch:
Sonntag, den 9.September 1492
An diesem Tag kamen wir außer Sichtweite von Land, und viele Männer jammerten und weinten vor
Angst, es für lange Zeit nicht wieder zu erblicken...Um sie in ihrer Hoffnung zu stärken und ihre
Ängste zu zerstreuen, entschloß ich mich, weniger Meilen zu zählen, als wir tatsächlich zurücklegten.
Ich verfuhr in dieser Weise, damit sie die Entfernung von Spanien nicht für so weit halten, als
sie tatsächlich ist. Ich werde für mich selbst eine vertrauliche und zutreffende Aufstellung führen.
c. Klangmaterial
Für das Klangstück Westbound Passage habe ich 2 Materialgruppen gewählt als Synonyme für die
vektoralen Bewegungsmodule Hinreise / Rückreise - von Europa nach Amerika / von Amerika nach Europa.
Kolumbus kam aus der Alten Welt in die Neue Welt.
Die Kartoffel kam von der Neuen Welt in die Alte Welt.
Die "Überfahrt" als soundscape-Thema hätte im direkten Sinn den Klang des Ozeans bedeutet. Als
"erweitertes soundscape" verwendete ich ausschliesslich Textmaterial (Auszüge aus einer Kolumbus-Biografie
und aus dem Logbuch).
Die "Klanglichkeit der Kartoffel": das sind Geräusche aus der Küche, vom Waschen und Schälen der
Kartoffeln bis zur Zubereitung von Kartoffelgerichten.
Das Schälen und Schneiden von Kartoffeln ist heute noch zumeist ein analoger Vorgang - ein Hauptthema
der Klangarbeit ist das Erforschen digitaler Schnittmöglichkeiten.
d. Komposition
KolumbusŤ Lüge, die tatsächlich gemessenen Wegstrecken und die für seine Mannschaft gefälschten Angaben
und dazu noch differierende Angaben bei verschiedenen Veröffentlichungen des Logbuchs ergeben bei einem
grafischen Vergleich Differenzwerte. Diese Werte auf eine Zeitachse übertragen ergeben eine Basispartitur
für eine Schichtung von Materialblöcken. In folgenden Arbeitsprozessen wird das Material mehrfach
gefiltert. Das Ergebnis ist ein stereofoner Mastermix.
e. Raum - Realisation
In der Raum-Realisation mit insgesamt 8 Lautsprechern bewegt sich das Klangmaterial (Mastermix) von
einem Lautsprecherpaar zum nächsten. Die 8 Lautsprecher sollen vom gleichen Typ sein, der
Lautstärkeverlust durch die zunehmende räumliche Entfernung soll durch entsprechende Aussteuerung der
einzelnen Lautsprecherpaare so geregelt sein, dass im Bereich des Auditoriums alle Lautsprecher gleichlaut
erklingen.
Die unterschiedliche Distanz zwischen den einzelnen Lautsprecherpaaren und dem Hörer - der Raum selbst -
wird in dieser Installation zu einem klanggestaltenden Parameter.
4. 6-pack with interludes (snare-drum)
Anleitung zum Bau eines 6-packs
1
Stellen Sie alle Radioapparate an, die Sie haben. Schalten Sie die HiFi-Anlage in Ihrem Wohnzimmer ein,
den Radiowecker im Schlafzimmer, das Küchenradio. Parken Sie Ihr Auto vor Ihrer Haustür, stellen Sie
das Autoradio an und kurbeln Sie die Fensterscheiben herunter. Wählen Sie einen Rundfunksender und
stellen Sie alle Geräte auf dieser Frequenz ein.
2
Gehen Sie in Ihrer Wohnung spazieren, gehen Sie vor die Tür, wo Ihr Auto steht. Besuchen Sie Ihre
Nachbarn - die haben auch Radiogeräte. Bitten Sie sie, sie einzuschalten. Gehen Sie durch das
ganze Haus, von einem Raum zum andern und hören Sie Radio. Ändern Sie Ihre Gangart, schreiten Sie
gemächlich, rennen Sie, laufen Sie zickzack, verweilen Sie an bestimmten Stellen und hören Sie dabei.
3
Verändern Sie an allen Empfangsgeräten die Frequenz. Suchen Sie einen neuen Sender oder stellen sie
den Sender unscharf oder stellen Sie die Geräte nur auf Rauschen. Danach handeln Sie wieder nach Punkt 2.
5. interludes (with snare-drum)
1973 veröffentlichte Billy Cobham sein erstes Soloalbum "Spectrum". Zwischen den Stücken spielte
Cobham kurze Schlagzeugsoli. Die Musik von Billy Cobham hat mich seither nicht mehr interessiert.
6. Musica Analogica
"Musica Analogica" ist ein komplexes System, bestehend aus einem analogen Equipment, das den Transport
von Tonmaterial als Arbeitsprozeß leistet und dabei das akustische Phänomen dieses Prozesses als
Tonmaterial selbt benutzt. Die Realisation in einem bestimmten Raum wirkt dabei mit den jeweils
spezifischen Raumkoordinaten direkt auf die Zeitstruktur des Systems mit ein. "Musica Analogica"
arbeitet mit dem Prinzip der medialen Selbstreflexion. Im gerade sich vollziehenden Substitutionsprozeß
von analoger durch digitale Technologie ist "Musica Analogica" ein Spiel mit der Frage nach der
absoluten Austauschbarkeit und ihrer Grenzwerte bzw. der konsequenten Unikalität von Materialien
und Systemen.
Realisation
Eine Magnettonband-Schlaufe wird durch zwei Tonbandgeräte geführt. Das erste befindet sich in
"Record"-Funktion, das zweite in "Play"-Funktion. Die Bandschlaufe nimmt durch ihre Länge und die
Form ihrer Führung Bezug auf die architektonische Grundstruktur des Raumes und bildet so ein
skulpturales "visuelles" Element. Durch den physischen Kontakt des Bandes mit dem Raum selbst oder
mit sich darin befindlichen Gegenständen (z.B. Schleifen auf dem Fußboden, Bandführung um eine Säule
oder entlang eines Mauerabsatzes, Fenstersims..., Stative etc. als Umlenkpunkte) entstehen akustische
Kontakte. Diese werden mit Mikrofonen und Kontaktmikrofonen abgenommen und von dem ersten Tonbandgerät
aufgenommen. Sie bilden somit das akustische Material der Arbeit. Nach der Aufnahme eines Sounds an
einem Punkt x des Bandes wird dieses einmal durch den Raum geführt und dann in das zweite
"Wiedergabe"-Tonbandgerät. Das Tonmaterial wird über Lautsprecherboxen wiedergegeben. Vor den Boxen
sind weitere Mikrofone, die den Lautsprecherklang erneut aufnehmen und nach weiterem Durchlauf der
Bandschlaufe wiedergeben. Dieser sich permanent transformierende Sound (das Prinzip von "I am sitting
in a room" von Alvin Lucier) wird überlagert von neu dazugemischten Sounds und ergibt eine zeitliche
Schichtung innerhalb des Systems.
Das Tonband in seiner Funktion als Tonerzeuger (Präsenz im Raum) und als Tonträger (magnetische
Aufzeichnung, analoge Speicherung) erfährt eine "Zweizeitigkeit": es durchläuft als Tonträger zu
einem späteren Zeitpunkt den Ort des Tonerzeugers.
7. Parcour II (Enden)
In einem Raum sind 6 Lautsprecher verteilt. Aus dem ersten Lautsprecher ist eine Klangkomposition direkt
zu hören. In einem bestimmten Abstand von diesem Lautsprecher ist ein Mikrofon, das die Klänge aus dem
Lautsprecher aufnimmt. Diese Mikrofonaufnahme ist direkt aus dem zweiten Lautsprecher zu hören. Vor dem
zweiten Lautsprecher ist ein weiteres Mikrofon, dessen Aufnahme auf dem dritten Lautsprecher
wiedergegeben wird. Diese Kette wird fortgesetzt bis zum sechsten Lautsprecher.
Dieses Aufnahme- und Wiedergabesystem enthält in jeder Phase einen bestimmten Raumanteil durch den
Abstand zwischen Lautsprecher und Mikrofon. Dieser Raumanteil und die Lautsprecherwiedergabe verändert
den Klang in jeder Phase: es entsteht ein Klangprozess in sechs verschiedenen Aggregatstufen. Der
gesamte Klangprozess, der eigentlich nacheinander, also in einer zeitlichen Abfolge, abläuft, wird
in der Installation als gleichzeitig wahrgenommen. Die Musik ist in unterschiedlicher Klanglichkeit
gleichzeitig im Raum zu hören. Der Besucher kann in der Installation zwischen den einzelnen
Lautsprechern hindurchgehen und erlebt den Gesamtklang so in einer räumlichen Differenzierung.
Während der Dauer der Aufführung wird das Lautstärkeverhältnis und die Eingangsempfindlichkeit der
Mikrofone über ein Mischpult geregelt. Die Klanginstallation wird damit zu einer einmaligen Aufführung.
Klangmaterial der Komposition
Die klangliche Basis von "Parcour II" sind verschiedene akustische Zustände der Christianskirche.
Mehrere Aufnahmen im Innenraum zu verschiedenen Tageszeiten werden verdichtet und ergänzt durch
diskrete Klänge, die in der Kirche verborgen sind.
In der künstlerischen Auseinandersetzung mit Musik und mit Klängen trifft man auf die transzendentalen
Fragen nach Anfang, nach Dauer und Ausdehnung und nach Ende. Ich habe Enden gesammelt. Enden: der
jeweils letzte Ton, der letzte Akkord eines Musikstückes in keinerlei Kontext von Rhythmus und
Melodie mehr, nur noch komprimiertes Substrat des jeweiligen Stückes und gleichzeitig losgelöst
von seinem ganzen Corpus und rein selbstständig als Klang.
Was erscheint hinter einem Ende?
In der Installation "Parcour II" geht es um den Moment, wo Musik aufhört zu dauern und ihre Enden
in die Gleichzeitigkeit eines räumlichen Klangprozesses übergehen.