Studioforum

Dezember 2012 / Januar 2013

Kompositionen von aktuellen und ehemaligen Studierenden des Studienganges "Musik und Medienkunst" sowie des Masters "Contemporary Arts Practice" an der Hochschule der Künste in Bern

01. Minsk I / 49:14
ein Hörstück von Lukas Huber, Rebecca Grossen und Nicolas Schmutz
02. Dokumentation 'Ein Grad minus' / 13:00
03. Ein Grad minus / 26:27
eine Komposition von Lukas Huber und Nicolas Schmutz
04. Transfiguration II / 9:52
eine Komposition von Lukas Huber

1. Minsk, ein Hörstück
Montage: Lukas Huber
Klangmaterial: Lukas Huber, Rebecca Grossen, Nicolas Schmutz
Im Spätsommer 2012 fuhren wir anlässlich eines Theaterprojekts mit einer Gruppe von etwa 10 deutschsprachigen Musikern und Schauspielern nach Minsk, in die Hauptstadt Wei§russlands. Wie stark sich die Kultur in diesem Land von unserer westeuropäischen unterscheidet, wurde uns bereits an der weissrussischen Grenze bewusst. Statt Züge an der Grenze bereit zu halten, in welche man umsteigen könnte, wurden alle Wagen unseres Zuges in einem etwa drei Stunden dauernden Prozess angehoben, so dass die Fahrgestelle ausgewechselt werden konnten (ab Weissrussland verkehren die Züge auf breitspurigeren Geleisen). Für diese extrem aufwendige Arbeit werden natürlich viele Arbeitskräfte benötigt, nur wohl nicht ganz so viele, wie in diesen Hallen tatsächlich bereit standen. In Minsk bestätigte sich unsere Vermutung, dass durch diese Art der Vollbeschäftigung die Bevölkerung ruhig gehalten wird.
Der vorgetäuschte Wohlstand ist in Minsk noch in vielen weiteren Formen zu finden: Minsk ist die wohl sauberste und sicherste Stadt in der wir (Schweizer!) jemals gewesen sind. In der Innenstadt stehen fast nur prunkvolle Paläste und gemäss dem, was man aufgrund der Autos und der Kleidung der Minsker ableiten könnte, müssten diese durchschnittlich wohl sehr vermögend sein. Dies alles scheint im wahrsten Sinne des Wortes aber nur die Fassade zu sein, denn die Sauberkeit und Sicherheit werden wohl durch staatliche Einschüchterung erreicht (in der Stadt sind extrem viele Polizisten anzutreffen), begibt man sich in den Hinterhof eines "Palastes", kann man feststellen, dass tatsächlich nur die Fassade prunkvoll aussieht und wenn man mit den "vermögenden" Leuten spricht, wird klar, dass diese meist in extremer Armut leben.
Die bereits angesprochene Freiheitseinschränkung bekamen auch wir zu spüren. Durch die machtdemonstrierenden Staatsgebäude und die meist ziemlich leeren, riesigen Plätze fühlt man sich ständig beobachtet. Zudem wurden wir offensichtlich vom KGB überwacht, was zu einigen sehr seltsamen Situationen führte.
Doch wir wollen es nicht bei diesen negativen Bildern belassen, denn die Reise war für uns alle ein wahnsinnig tolles Erlebnis. Dies hat vor allem mit den Menschen zu tun, die wir in Minsk kennengelernt haben. Die auf den ersten Blick oft sehr kühl wirkenden Weissrussen (dies wohl aus Vorsicht welche aus der Einschüchterung resultiert), sind meist unglaublich freundliche und offene Menschen, was sich nicht zuletzt auch mit der berühmten östlichen Gastfreundschaft zeigt.
Das 50-minütige Hörstück "Minsk" kann als ein fast dokumentarisches Feature angesehen werden, unter anderem, weil in dem Stück vornehmlich Aufnahmen aus Weissrussland zu hören sind. Vieles, was im Text bisher angesprochen wurde, ist in diesem Stück in irgendeiner Form enthalten. Zudem sind natürlich auch konkrete akustische Auffälligkeiten zu hören, welche für uns zum Bild von Minsk gehören. So etwa sehr laute und schlecht isolierte Strassen-, und U-Bahnen (Unterhaltungen führen kann man da nicht), undichte Wasserrohre (überall funktioniert irgendetwas nicht) oder auch Baustellen (vor allem am Stadtrand wird sehr viel gebaut).

2./3. Ein Grad minus
Eine Komposition von Lukas Huber und Nicolas Schmutz
Konzeption: Lukas Huber, Nicolas Schmutz und Martin Traber
"Ein Grad minus" ist ursprünglich eine Mischform zwischen Installation und Performance und hat sich schliesslich zu einem Hörstück entwickelt. In "Ein Grad minus" werden Klänge vor allem durch Ventilatoren erzeugt. Ergänzend zu den Ventilatoren treten auch ein ferngesteuerter Helikopter, ein Walkie Talkie, ein Schaumschläger und ein Radio als Klangerzeuger auf.
Die sechs verwendeten Ventilatoren werden dabei an einen Dimmer angeschlossen, der mit einem Computer verbunden ist, von welchem aus die Ventilatoren ein- und ausgeschaltet werden können. Alle Ventilatoren werden zudem mit Kontaktmikrofonen abgenommen, deren Signal auf Lautsprecher geschickt wird. Jedem Ventilator ist dabei ein anderer Lautsprecher zugeordnet, wobei alle Lautsprecher von ziemlich schlechter Qualität sind, so dass sie selbst einen starken Einfluss auf den Klang ausüben. Der Grad der Verstärkung wird ebenfalls vom Computer aus gesteuert, was dazu führt, dass von jedem Ventilator ganz unterschiedliche Sounds zu hören sind, nämlich entweder nur das direkte Signal oder eine Mischung zwischen Direktsignal und Verstärkung durch die Lautsprecher.
Durch das komplexe, auch visuell eindrückliche Setting, waren wir von Anfang an dazu verleitet, das Stück live zu performen. So wurde das Werk im Juni 2011 in Bern und im Juli 2011 am ZKM in Karlsruhe performativ aufgeführt. Jedoch haben wir bald festgestellt, dass sich die Klänge viel differenzierter aufeinander abstimmen lassen, wenn wir ein Hörstück daraus machen. Zudem wurde uns eine Hörstückversion der Performance von Stefan Fricke vom Hessischen Rundfunk in Auftrag gegeben, wo das nun fast 40-minütige Werk im Dezember 2012 gesendet werden wird.
Ein kleine, aber für die Spannung sehr wichtige Rolle spielt im Hörstück das Walkie Talkie, das durch Abwesenheit der Stimme ungewöhnlich verwendet wird. Dies heisst, dass zwar jeweils eindeutig ein Walkie Talkie zu hören ist, aber nie etwas gesagt wird. Auch das Radio wird seiner eigentlichen Funktion entledigt, da nur Rauschen zu hören ist.
Sämtliche verwendeten Gegenstände wurden zweckentfremdet: Ein Ventilator soll belüften, ein Schaumschläger wird eigentlich zum Schlagen von Rahm benutzt, ein Helikopter soll fliegen, mit Walkie Talkies und Radios sollen Informationen vermittelt werden und die Nebengeräusche die bei allen diesen Geräten auftreten, sind eigentlich Störgeräusche. Wir haben diese Klänge in unserem Hörstück so angelegt, dass sie nicht fehl am Platz und nur Nebenerscheinungen sind, sondern zu den Bausteinen der Komposition werden.
Der Komposition vorausgehend hören Sie eine 13-minütige, akustische Dokumentation des Entstehungsprozesses.

4. Transfiguration II
Eine Komposition von Lukas Huber
"Transfiguration II" ist im Sommer 2012 zusammen mit dem Dokumentarfilm "Krieger" von Patrick Meury entstanden. Im Zentrum des Films steht Mikhail, ein Ex-Drogensüchtiger, der sich im Sommer 2011 in den peruanischen Urwald begibt, um dort an einem 12-tätigen schamanistischen Ayahuasca-Seminar teilzunehmen. Das Seminar beinhaltet drei Ayahuasca-Zeremonien, eine viertägige Diät, Körperreinigungen, traditionelle Rituale und Gespräche mit Therapeuten, Psychologen, Schamanen und anderen Teilnehmern. Ziel des Seminar war es, Mikhail von seiner Drogensucht zu befreien, was tatsächlich gelungen ist.
Ayahuasca (Inhaltsstoff DMT) gilt als eines der stärksten bekannten Halluzinogene. Die Einnahme der pflanzliche Droge ist ursprünglich an rituelle Zeremonien gebunden, welche von im südamerikanischen Urwald lebenden Völkern abgehalten werden.
"Transfiguration II" wurde ursprünglich im Vorlauf des Films gespielt, wobei Mikhails Erlebnisse akustisch vorweggenommen werden sollten.


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