Berichte | Die HyperKult_22 an der Leuphana Universität in Lüneburg

 

Oktober / November 2013

 

Leuphana Universität Lüneburg, Hyperkult 22

Es diskutieren Prof. Dr. Martin Warnke, Prof. Dr. Rolf Großmann mit Michael Harenberg

Mit gesprochenen Twitter Tweets als künstlerische Verdichtungen während der Konferenz von Hartmut Sörgel.

Zum nachlesen auf Twitter: @HyperKult_XII

http://www.leuphana.de/institute/icam/forschung-projekte/hyperkult/hyperkult-22.html

 

Titelreihenfolge:

1_Hyperkult_Disk_1, Diskussion Block 1

2_TopoPhonieNr.3, Sabine Schäfer, TopoPhonien Nr. 3

3_Hyperkult_Disk_2, Diskussion Block 2

4_Behrens_Heyduck, Plastic/Metal

5_Hyperkult_Disk_3, Diskussion Block 3

6_CodeCruncher_1, Großmann, Idensen, Stockhausen, Harenberg,

7_Hyperkult_Disk_4, Diskussion Block 4

8_CodeCruncher_2, Großmann, Idensen, Stockhausen, Harenberg,

9_Hyperkult_Disk_5, Diskussion Block 5

10_Fiedler/Harenberg, „Das pythagoräische Komma“,

11_Hyperkult_Disk_6, Diskussion Block 6

12_StillePost, h-peh „shellout session“

 

zu 1:

HyperKult XXII

Computer als Medium

 

Standards, Normen, Protokolle

4.-6. Juli 2013

 

Centre for Digital Cultures

Medien- und Informationszentrum und

Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien der

Leuphana Universität Lüneburg

 

www.leuphana.de/hyperkult

 

veranstaltet von der

Gesellschaft für Informatik e. V. (GI), FG "Computer als Medium"

FB Informatik und Gesellschaft

 

Das Programm des Workshops

Es gibt nichts Langweiligeres unter der Sonne als Normen und Standards. Protokolle sind etwas für Royals und angehende Debütanten des Wiener Opernballs.

Das Internet allerdings funktioniert in seiner netzneutralen Fassung nur unter der drögen Observanz der Protokolle, die von den pickligen Jünglingen der Netz-Pubertät noch über RFC, Request for Comments, auf dem schüchternsten aller Wege zu Stande kamen. Es kam das Internet in die Welt, als Triumph von TCP/IP, mit zwei mal "P" für "Protokoll". Das mochten die Konzernherrn aus Paris, New York, Bonn nicht gern, mussten sich aber dennoch beugen. So viel zum vorläufigen Sieg der Graswurzel-Idee des Internet in Form von Normen, Standards und Protokollen. Es scheint allerdings unklar, ob die Proprietarität nicht vielleicht doch die Oberhand gewinnen könnte, und das ganze schöne partizipative Internet wäre dahin.

Es wäre dann nicht das erste Mal, dass Firmenmacht über Normen, Standards und Protokolle gesiegt hätte, die in diesem Lichte nun wieder als die Horte demokratischer Teilhabe und Ergebnisse eines herrschaftsfreien Diskurses gelten könnten. Selbst beim Datenschutz kann man sich Dank gültiger Rechtsnormen, einstmals heroisch erstritten, in geregelten europäischen Datenhäfen sicherer fühlen als im "safe harbour" Californischer Datenprozessierer, die die längste Zeit und schon lange nicht mehr von Hippies betrieben wurden.

Doch manche Standards sind auch unbestritten extrem erfolgreich: MIDI, ISO/OSI, DIN und die Bohrung von Colts.

Welche Rolle spielen Standards, Normen und Protokolle für die Strukturbildung der Nächsten Gesellschaft? Sind Protokolle nicht vielleicht doch ihre wichtigsten Medien, und der lange Marsch durch die Institutionen müsste heute durch die Normungskommissionen verlaufen? Welche Bedeutung haben das W3C, welche die ICANN, die WIPO? Wo, bitteschön, scheint denn eine neue Anarchie auf, die alle diese verknöcherten Regularien, wenigstens für kurze Zeit, zum Teufel schickte?

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zu 2:

Sabine Schäfer, „TopoPhonie Nr. 3“

Werktitel (Entstehungsjahr): TopoPhonie Nr. 3 (1996)

Dauer: 12 ́30 ́ ́

Anzahl der Kanäle / Besetzung: 8 Kanäle / 8 Lautsprecher

Gattung: begehbare Raumklanginstallation

Das Werk kann auch konzertant aufgeführt werden.

Angaben zu den abgespeicherten Spuren / Audio-Files:

Format: .aif / 16 bit / 44.1 kHz

Anzahl und Gruppierung der Spuren:

Spur 1 – 8: „TopophonieNo3_01.aif“ – „TopophonieNo3_08.aif “ • 8-gliedriger Lautsprecherkreis

Werkangaben und Kommentar

TopoPhonie Nr. 3 (1996)

8-kanalige Raumklangkomposition

für einen begehbaren RaumklangKörper

Komposition, Produktion, Programmierung, Rauminszenierung: Sabine Schäfer Klangsteuerungstechnik: Sukandar Kartadinata

Auftragswerk des „Warschauer Herbst“

Ausstellungspremiere: 1996 Museum Sztuki Warschau - Centre for Contemporary Art im Rahmen des „Warschauer Herbst“ / 39. Internationales Festival für Zeitgenössische Musik Warschau

Werktext:

Die Raumklanginstallation TOPOPHONIE Nr.3 geht aus dem Raumklangkunst-Projekt TOPOPHONIEN hervor. TOPOPHONIEN sind computergesteuerte Raumklanginstallationen, bei denen die Lautsprecher im Raum verteilt sind und eine Matrix bilden, eine Spur, über die der Klang "in den Raum gesetzt" bzw. "im Raum bewegt" wird. Neben Tonhöhe, Rhythmus und Klangfarbe tritt hier die räumliche Bewegung des Klangs als vierter struktureller Parameter hinzu.

 

Das Raumklangkunst-Projekt „TopoPhonien“ von Sabine Schäfer / www.topophonien.de Archivierung der Werke am IMA des ZKM 2007

TopoPhonie Nr. 3 (1996)

Die Raumklanginstallation TOPOPHONIE Nr.3 geht aus dem Raumklangkunst-Projekt TOPOPHONIEN hervor.

TOPOPHONIEN sind computergesteuerte Raumklanginstallationen, bei denen die Lautsprecher im Raum verteilt sind und eine Matrix bilden, eine Spur, über die der Klang "in den Raum gesetzt" bzw. "im Raum bewegt" wird. Neben Tonhöhe,

Rhythmus und Klangfarbe tritt hier die räumliche Bewegung des Klangs als vierter struk- tureller Parameter hinzu.

Über das kreisförmig angeordnete, achtgliedrige Lautsprecherensemble der TOPOPHONIE Nr.3 bewegen sich Klänge unterschiedlichster Art. Die wiederkehrenden stringenten kreisförmigen Bewegungen wirken wie akustische Markierungen und evozieren Gefühle der Umzingelung. Klang-Phantasmen bevölkern den Raum und laden ihn mit Qualitäten auf. Elektroakustischer Klang, Instrumentalklang, menschliche Stimmen und Geräusche sind miteinander verwoben und lassen einen eigentümlichen Sprachcharakter entstehen, der die Grenzen fließend werden lässt und sich zwischen den traditionellen Genres wie elektroakustische Musik, Hörspiel und Musique Concrète ansiedelt.

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zu 4

Nikolaus Heyduck, Marc Behrens

Plastic / Metal

»HyperKult 14«

AudioKult und Hypersound?

Ästhetik und Kultur digitaler Audiomedien

veranstaltet von der

Fachgruppe »Computer als Medium«

im Fachbereich »Informatik und Gesellschaft« der Gesellschaft für Informatik e.V

Universität Lüneburg

14.-16.7.2005

 

 

"Plastic Metal" is a collaboration project by German sound artists Marc Behrens and Nikolaus Heyduck.

Years after they first met, Behrens and Heyduck realized that each of them independently had been working on the same kind of material, such as plastic bags, bubblewrap, chocolate, medicine, and toy packages.

Heyduck had made several sound and video installations, Behrens had composed "Scenes for Contraction" in 1999 (released on his solo CD "Contraction").

Their first duo performance with a joined pool of this type of material took place inside one of Heyduck's installations in the year 2000. For the second performance they used a box filled with plastic material and an integrated handheld videocamera equipped with stereo microphones, thus "playing" the plastic inside...

The Metal piece was initiated when Heyduck helped to clean Behrens' cellar one day in 2001. He found two steel drumsets that Behrens had built in 1991 and left to oxidate in a remote angle.

The artists decided to reactivate these instruments for another collaborative project. An extensive recording session and successive digital processing resulted in the basic material used for two performances in 2002 and 2004.

Both pieces of this release are products of an evolutionary process - an interaction of sound recordings and physical objects exposed to a live concert situation, and further elaboration to create a concise composition in CD format.

Nikolaus Heyduck is an artist working with audiovisual media since 1978. He studied art in the 1980s and composition in the early 1990s.

Marc Behrens is perhaps best classed as a "sound artist", working internationally across performance, installation, and recorded media (audio and video).

Wir dokumentieren eine Aufnahme der Tage für Neue Musik an der Akademie für Tonkunst Darmstadt am18.2.2004.

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zu 6 / 8

CodeCruncher

Rolf Großmann, Heiko Idensen, Simon Stockhausen, Michael Harenberg

CodeCruncher - Multimediaevent 1999

Zwischen Transformation und Kommunikation

Als Number Cruncher gedacht, ist der Computer längst zum Code Cruncher gewoden. Der Zahlenfresser, der während des 2. Weltkriegs bereits Codes knackte, nämlich den Verschlüsselungscode der deutschen U-Bootflotte, war ursprünglich zuständig für die Verarbeitung des techcode, für die Kalkulation mathematischer und technischer Zeichen. Auch heute scheint er nichts anderes zu tun: ein bürokratischer Verwalter des unter den multimedialen Oberflächen floatenden digitalen Codes. Oberflächen, Interfaces und Programme sind jedoch wie der Computer selbst sedimentierte kulturelle Artefakte. In ihren konkreten Strukturen und Erscheinungsformen, vollgesogen mit dem cultcode gesellschaftlich-kultureller Semantik transformieren die Automaten und ihre Operatoren den kulturellen Code. Bevor die Bitstruktur an die Oberfläche des Apparats zu seinem (Be-)Diener und so zu Information und Bedeutung gelangt, wird sie von den internen techcodes und cultcodes der Programme transformiert, variiert, zerstückelt, de- und rekonstruiert.

Dieser Prozeß droht im an Effizienz, Rationalisierung und Operationalisierung orientierten Diskurs um virtuelle Lernumgebungen, Datenautobahnen und 'Informations'gesellschaft in den Hintergrund zu treten. Dass die reine Vernunft der Industriegesellschaft ihren dialektischen Counterpart mit Irrationalismus und mythischer Verklärung des Rationalen und Rationellen selbst in sich trägt, ist seit dem bürokratisch präzisen Versuch der 'Endlösung' und seit Theodor W. Adornos "Dialektik der Aufklärung" nichts Neues. Soweit aufgeklärt scheint die Medienwelt vernetzter digitaler Medien leicht handhabbar. Doch solange das Internet als channel eines personal TV verkauft wird, solange das Potenzial dieser Medien durch alte Mediengewohnheiten systematisch verkannt wird, bleiben die hellen und die "dunklen Seiten ihrer Macht" (Luc Skywalker) jenseits der Wahrnehmbarkeit. Multimedia ist mehr als das Abrufen informativer Medienschnipsel, reizvolles Homeshopping oder attraktives computer-based training ... .

Die Performance CodeCruncher ist Experiment, künstlerisch-wissenschaftliches Sensorium, eine McLuhansche Sonde in rational schwer zugängliches Gebiet. Das digitale Medium ‚Schrift‘ liefert Medienmaterial. Digitale Maschinen verschalten Sinnesebenen auf Programmbefehl. Also befehlen wir. Die "Eigenwelt der Apparatewelt" (David Dunn) und die Intentionen der menschlichen Operatoren verschränken sich zu einer hybriden technokulturellen Einheit.

»Das Universum, das andere die Bibliothek nennen, setzt sich aus einer undefinierten, womöglich unendlichen Zahl ineinander verschachtelter Bildschirme zusammen ...«

(Idensen/Krohn, Die imaginäre Bibliothek)

Die sprachlichen Codes und Zeichensysteme erfahren unter den Einwirkungen der Digitalmedien weitreichende Transformationsprozesse: digital kodiert werden die sprachlichen Zeichen, die ihrerseits schon Träger von Daten und Informationen, aber auch von poetischen Bildern, metaphorischen Verdichtungen, Sprachspielen etc. sind, selbst zum ’Inhalt’ einer fluiden, flüchtigen, abstrakten Re-Mediatisierung, die verschiedene kulturhistorische Aufschreibesysteme durchläuft: In den oralen Kulturen verlassen die Worte als stimmlicher Hauch den sprechenden Mund, gerinnen dann in der Phase der Handschrift zur verkörperlichten Schrift-Spur, läuten dann als vollends externalisierte Typen mit der Revolution des Buchdrucks die industrielle Produktionsweise ein und zirkulieren jetzt in den vernetzten Digitalmedien vollkommen losgelöst von den Mündern, Händen, menschlichen Sprechwerkzeugen und Organen als Datenpakete zwischen Servern, Festplatten, Datenbanken, Bildschirmen, Mailboxen ...

... befreit von materiellen Trägern (wie Stein, Tafel, Papyrus) verkehren und zirkulieren die Worte im Dokuversum der Netzwerkkultur nicht nur unabhängig von Sprechern und Autoren ('ohne Absender'), sondern sogar adressatenlos im Netz - jenseits der klassischen Trias von Sender-Code-Empfänger, dem Paradigma der Massenkommunikation.

Damit vermischen sich die reinen sprachlichen Codes (wie sie etwa im ASCII-Code genormt sind) mit Programm-, Sub- und Metakodierungen (etwa in Markup-Sprachen wie HTML, Perl- und Java-Programmen...), die wiederum Textstrukturen, Anzeigeformate, aber auch Querverbindungen, Zugriffs- und Eingriffweisen (etwa Eingabefelder ) generieren.

Der Umgang mit digitalen Texten geht somit über die klassische Lektüre weit hinaus: Im Dokuversum intertextuell verbundener Textfragmente und -Segmente wird eine von Literaten (wie Marcel Proust oder Malarmeé) erträumte und mittels poetischer Verfahren innerhalb literarischer Fiktion simulierte 'aktive Rezeption' möglich, die seitens der Literaturwissenschaft lediglich für den Lese-Akt konstatiert worden ist (Reader-Response, textuelle Leerstelle) oder in creative-writing-Kursen als Einstieg in Schreibprozessen benutzt wird: In den Momenten des Durchquerens vernetzter Datenbestände vollziehen sich Prozesse eines hybriden 'Schreib-Lesens', in denen Operationen des Lese- und Schreibaktes zusammenfallen.

Solche Möglichkeiten des unmittelbaren Agierens mit und Eingreifens in Texte ändern die Rolle von AutorInnen und Lesern radikal: die Übergänge zwischen Lesen/Schreiben, Kodieren/Dekodieren werden fließend und die Momente der Selektion und der Navigation schreiben sich direkt als Pfade in die vernetzten Datenbestände rhizomatische offener Textstruktur ein. 'Schreib-Lesen 'im Internet arbeitet mit dem Zwischenraum der Texte, in den sich Lesarten, Kommentare, Anmerkungen und Annotationen ebenso einschreiben wie  strukturelle und metatextuelle Informationscodes (Text- und Verlinkungstrukturen, Zugriffsstatistiken, Suchmaschinen-Zugriffe). Neue Paradigmen für das Schreiben und Lesen in hypermedialen Environments bilden sich erst langsam heraus: Navigieren, Interagieren, Bild-Schirm-Denken, Chatten ...

Die Gestaltung und Verflüssigung der Schnittstellen/Interfaces digitaler (Hyper-) Texte ist der grundlegende Antrieb für die intertextuellen Sprachspiele der Performance CodeCruncher. Sie ist in mehrdimensionaler Weise textbasiert. Das gilt besonders für die Verwendung der akustischen Elemente wie gesprochene Sprache, Sound und Musik. „Text“ in Form von intertextuellen und intermedialen Elementen erscheint in der Performance auf verschiedenen Ebenen. In CodeCruncher verwendete intertextuelle Elemente können nach semantischen, in bezug auf Sprache und Kommunikation akustischen sowie (musikalisch-) grammatischen Kriterien unterschieden werden. Transformiert man alle diese Elemente in neutrale und universell manipulierbare digitale Codes, können sie beliebig bearbeitet, ineinander überführt und interaktiv verkoppelt werden. Es entsteht eine fraktalartige Netzstruktur in Form einer „Hypermedialität“ im engeren Sinne, in der jedes Element mit jedem anderen vielfach verbunden, durch ein anderes ausgelöst und/oder dieses steuernd begleitend in Erscheinung treten kann.

Die Performance selbst kann so als eine Art „Interface“ zu dieser Hypermedialität betrachtet werden, indem die drei ausführenden Akteure interagierend einzelne Elemente herausgreifen und sicht- und hörbar zum Mittelpunkt des sich ausspinnenden Netzes werden lassen. Die materiellen Werkzeuge und somit die Instrumente dieses Interfaces sind verschiedene Computersysteme, welche als Universalmaschinen die digitalen Codes in diesen Netzen manipulieren. Die Computersysteme werden in der Performance ihrerseits zu bespielbaren „Hyperinstrumenten“, die Bilder, Klänge, Sprache und Animationen als Ausgangsmaterialien (so wie die Töne eines Klaviers) bereit stellen und transformieren. Dazu kommen von den ausführenden Künstlern live gesprochene und gespielte Sequenzen, die einerseits in realtime in das hypermediale Netz eingespeist werden, andererseits auf einer Metaebene bereits vorhandene Elemente steuern, manipulieren und transformieren. Durch dieses vieldimensionale künstlerische Spiel mit und in Strukturen, wird der 'harte' digitale Code zum weichen und flexiblen Medium im Sinne einer wetware - zum 'gecrunchten' Material.

Im so gecrunchten Code ist ein Bild oder ein Klang mehr als in seiner bisherigen traditionellen kulturellen Bedeutung/Umgebung. Bilder und Klänge werden zum flüssigen Mediengestalten in virtuellen Räumen, ausschließlich einer ebenso virtuellen Phantasie-Physik gehorchend, sie bewegen sich durch verschiedene Aggregatszustände, ihr mediales Erscheinungsbild entsprechend permanent verändernd.

Das (Schrift-)Bild eines Textes wird zum abgetasteten Code von gepixelten Schwarz-Weiß-Sequenzen, welche wiederum von einem algorithmischen Audio-Composer in Klänge umgesetzt, diese abermals abgetastet in Metainformationen einer Midi-Sequenz, einen synthetischen Sprachsynthesizer steuern könnten. Das Ganze geht auch andersherum. Oder ausgehend von einem gesprochenen Wort bis hin zur Graphik, deren digitale Animation über die Analyse eines Soundsamples gesteuert wird. Bilder werden zu Klängen, Klänge zu Steuerinformationen, Steuerinformationen mittels Sprachsynthesizer zu gesprochener Sprache und diese etwa über die Steuerung der Variablen einer fraktalen Gleichung wiederum zu komplexen Grafikanimationen.

Im ständigen Fluß dieser Transformationsprozesse bedarf es der menschlichen Intelligenz und künstlerischen Imagination, um die hier technisch beschriebenen Abläufe, die ja sowohl jedes für sich als auch in ihrer erklingenden Gesamtheit immer ebenso Träger von Bedeutung sind, so zu gestalten und miteinander in Beziehung zu setzen, daß nicht technische Verfahren vorgeführt, sondern künstlerische Formen gestaltet werden. Dabei kommt auch hier der Kommunikation der Akteure während der Performance, dem miteinander Spielen im Rahmen einer ausgearbeiteten Partitur (wie etwa bei einem Streich-Trio), das weitgehend über das fragile Verhältnis von Reaktion und Improvisation stattfindet, eine zentrale Bedeutung zu.

Ebenso zentral ist das Verhältnis der einzelnen visuell und akustisch gespielten Elemente im Rahmen des Gesamtablaufs und damit natürlich auch deren Vorauswahl und Aufbereitung. Ein Sprachsample, welches etwa zur Steuerung von Grafiken genutzt wird, trägt nach wie vor seinen eigenen semantischen Charakter. Es kann im Rahmen der Performance sowohl als „Klang“ wie auch als „Information“ gehört werden. Das Changieren zwischen diesen Ebenen - sowohl von den Performern als auch von den Rezipienten - schafft ein besonderes Spannungsverhältnis und läßt die ansonsten rein technischen Vorgänge (wie bei einem guten Pianisten auch) zum Gegenstand ästhetischen Erlebens werden. Gleichzeitig vermittelt CodeCruncher damit auch eine Ahnung, welches künstlerische Material in den kleinen Rechenkisten schlummert, wenn sie entsprechend eingestzt und inmal sinnlich-utopisch anstatt rein rational auf ihre Möglichkeiten hin befragt werden. Die technische Seite des in CodeCruncher verwendeten Instrumentariums macht - im Falle des Gelingens - nicht die Künstler zu Technikern, sondern die Technik - im Sinne Adornos - zu „kunstfähigem Material“.

 

http://www.hyperdis.de

http://audio.uni-lueneburg.de

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zu 10

Michael Harenberg & Frank Fiedler

DAS PYTHAGORÄISCHE KOMMA

konzertante Installation

für Monochord und Echtzeit-Prozession

Bezogen auf den Ton c wird  das Intervall zu His als "pythagoräisches Komma" bezeichnet, ein Frequenzverhältnis von 80/81 oder 1 : 1,01250, das sich rechnerisch aus der Aufeinanderfolge von 12 Quintschritten ergibt - während bei heutiger Wohltemperierung der Gang durch den Quintenzirkel wieder beim Ausgangspunkt ankommt.

Pythagoras freute sich, als er an einer Saite (= mono chorda) zupfend feststellte, daß die Unterteilung der Saite im "schönen", das heißt ganzzahligen Verhältnis auch zum "schönen" Ton führte, der harmonisch eingebunden war in den ganzen Kosmos, in dem diese ganzen Zahlen alles beherrschen. Die Stellen hinterm Komma regten ihn nicht auf: Der Ton His kam in der antiken griechischen Musik nicht vor.

Das "pythagoräische Komma" bezeichnet die Lücke, wo der Kreis sich nicht schließt, das tragikomische Ende einer Denkbewegung. Ohne diese wäre die Lücke eine Stelle wie jede andre, es gäbe nur Lücken, durch die an allen Ecken und Enden die Möglichkeiten einströmen würden, an die man nicht gedacht hatte bei dem Versuch, einen Kreis zu schließen.

Das Monochord heute ist ein 16 - bzw. 30-saitiges Instrument, wiederholt also den einen Ton, was wiederum auch nie gelingt, weswegen überhaupt dieser wundersame Obertonreichtum zur Erscheinung kommt, den Pythagoras auch errechnete, und dessen Unendlichkeit ihm zum Gottesbeweis wurde. Durch die Live-Elektronik wird dieser Klang zusätzlich moduliert und in den Raum transponiert.

In der konzertanten Installation mit live electronics  spielt das Monochord selbst die Rolle der "Lücke im System", durch die unvorhergesehne Ereignisse dieses hybride Instrument aus Holz, Draht und Prozessoren zu immer neuen Metamorphosen zwingen.

(Das hier gespielte Monochord wurde unter Anleitung von Bernhard Deutz, Berlin gebaut).

 

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zu 12:

„Stille Post“

2 CD Veröffentlichungen des Kompetenzzentrums Ästhetische Strategien in Multimedia und digitalen Netzen‚ Schwerpunkt Audio an der Universität Lüneburg 1999 und 2002 unter der Leitung von Dr. Rolf Großmann, Michael Harenberg M.A. und Dr. Martin Warnke.

 

Wir dokumentieren den Titel „shellout session“ von h-peh auf der CD „Stille Post II“.

Die Idee von „Stille Post“ war eine Remix-Folge eines vorgegebenen Titels. Der erste Remix wird zum Ausgangsmaterial für den nachfolgenden. Die so entstandenen 11 Remixversionen pro CD-Projekt der Studierenden des „Kompetenzzentrums Ästhetische Strategien“, lassen sich also auch als eine voranschreitende Remix-Reihe hören, in der das vorhandene Material fortschreitenden De- und Rekonfigurierungsprozessen unterworfen ist. Rolf Großmann und Michael Harenberg sind mit eigenen Remix-Versionen vertreten.

http://audio.uni-lueneburg.de/lehre-workshops.php#

 

Stille Post 2

CD-Releaseparty

28.11.2002

"Stille Post II" versucht spielend zu beleuchten, wie ein Stück im Laufe verschiedener Remixe immer weiter mutiert und morphiert und schließlich ganz woanders ankommt.

Und das geht so: Die Teilnehmer remixen sich gegenseitig. Am Anfang steht ein Ausgangsstück. Der Zweite remixt das Stück des Ersten. Der Dritte remixt das Stück des zweiten, aber, wie der Name schon suggeriert, NUR in Kenntnis des zweiten Stücks. Der Vierte remixt das Stück des Dritten ohne die Nummer eins und zwei zu kennen...usw.

12 Stationen, 12 Wochen, jede Woche entsteht ein weiteres Stück eines weiteren Produzenten, das dessen ganz individuelle Auffassung eines Remixes widerspiegelt. Zum Schluss dann eine Listening-Session der besonderen Art: Die Präsentation eines kompletten Albums, von dem jeder bisher nur zwei Stücke kennt (nämlich sein eigenes und das des Vormischers). Welche Sounds sind die hartnäckigsten, welche Hooks die langlebigsten, wer nimmt sich welche Freiheiten raus, welche Stücke prägen die Kette? Entscheidet selbst.

 

1. Lawrence - Doxy 100

lawrence und die alltäglichen gefühlsduseleien seiner geräte: verliebt in die tollen grm tools und das spektral delay und schon fühlt sich der sampler so alleine gelassen...

[Lawrence ist Peter Kersten]

 

MP3

 

2. Lotto - Paradoxy

Doxy 100 wirkt nicht sedativ. Ist das zu laut geflüstert, wenn ich hier sage, dass Track No1 der Stillen Post2 Spass macht, vor allem die BD am Anfang? Schönen Dank an Pete für Fläche, Klix, Bass und Melodie. Da muss nichts hinzugefügt werden, jeder Sound aus "Paradoxy" stammt aus Deiner Feder, nur wo er steht und mit welchem Pitch, bestimmt meine Maus. Nils, hier jetzt mein Stück, viel Spass zwo drei vier.

[Lotto ist Andreas Otto]

 

MP3

 

3. Grabuk - Taxi for Fertile Valleys

Auch bei meinem Beitrag bleibt die "ich-nehm-alles-aus-der-basis" Basteltechnik erhalten. Es glockt und flächt wie grabuk halt. Und da 'para' bei google 'it stop´s' heisst, hält mein Taxi in den Tälern von Vegas.

[Grabuk ist Nils Dittbrenner]

 

MP3

 

4. Floating Point - Fertile Ralleys

schmatz, klick, zergel + ein paar klassische zutaten und schon wüted der track vor sich hin. cultural studies halt, schwerpunkt metronomics.

[Floating Point ist Rolf Grossmann]

 

MP3

 

5. Dr. Markuse - March of the Fertilizers

"Kick, Punch, it's all in the vibes."

Ein harmonikoistischer Beitrag zur Beibehaltung der Trackwütung. Cultural Studies halt, Schwerpunkt: Erlebniswelt Klubkultur.

[Dr. Markuse ist Markus Engel]

 

MP3

 

6. Cromford - En arrière dans le puits de purin

Dr. Markuse hat den Minimalismus entführt. Als Finte muss schnell ein neuer bereitgestellt werden, um ihn in die Falle zu locken und dingfest zu machen.

[Cromford ist Timo Meisel]

 

MP3

 

7. Sy Toys - Methane

Flo schleust durch die Hintertür ein Paar cheesy Melodien ins Studio. Um nicht so sehr aufzufallen wird das ganze dann mit nettem Geklicker garniert.

[Sy Toys ist Florian Wendtland]

 

MP3

 

8. Atomkunst - Geister, die ich riech

Wir haben uns an der Jauchegrube rumgetrieben. Verwesung und Fäulnis sind nur ein kleiner Schritt im Kreislauf des Werden und Vergehens. Erdiges Blubbern und dann noch was gasförmiges. Atomkunst proudly presents: Geister, die ich riech - Prayer for the SCSI-Bus Remix.

[Atomkunst sind Andreas Runte und Sabine Gottfried]

 

MP3

 

9. Offbeat Junkies - Ghost Eating Shell

Ein bisschen phertilizer zum com.post, schon freun sich die hobbygärtner über das eigene homegrown - smells like a mean spirit.

[Offbeat Junkies sind Harm Bremer und Pascal Dreckmann]

 

MP3

 

10. H-Peh - Shell-Out Session

Dr. Dre, Ice T und Ice Cube sagen, wie es läuft..sit back and relax !

[H-Peh ist Hans-Philipp Graf]

 

MP3

 

11. Monsieur Noir - Puschelmuschel Motherfucker

le monsieur liefert mit "puschelmuschel motherfucker" einen der pointiertesten Beiträge zur aktuellen Gewaltdiskussion und ruft der Nation zu: Wenn schon schiessen, dann bitte Tore! ...vielleicht macht er aber auch diesmal einfach nur dufte Tanzmusik...

[Monsieur Noir ist Oliver Schwarz]

 

MP3

 

12. Carl Globus - Pousseur, Pornking

Monsieur Noir hat seine Klaenge ja kraeftig eingespannt. Alle waren ein bisschen muede. Also hab ich ihnen ein Holzgitarrenbett gebaut und sie großflaechig zugedeckt. Dort liegen sie jetzt und erzaehlen sich vorm Einschlafen von vergangenen Taten.

[Carl Globus ist Tobias Ruderer]

 

MP3

 

Stille Post I

Wer wissen möchte, welchen verwinkelten Verlauf die erste erste Remixkette aus dem Jahr 2000 genommen hat, kann sie sich hier anhören.

 

Stille Post I als Stream und zum Runterladen 

Credits:

Idee, Konzept, Projektleitung und Koordination: Heiko H. Gogolin

Umsetzung für glizz.net: Timo Meisel

 

©2002 Ästhetische Strategien in Multimedia und Digitalen Netzen (Schwerpunkt Audio) in Kooperation mit glizz.net

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