Sounds only
Februar / März 2014
01-"Point of no return" 5:00
02- "Trituration" 8:45
03- "Voi ch'intrate" 4:00
04- "Preludio granular y Fuga" 4:00
05- "Lluvia verde en Plutón (estudio granular nº 2)" 2:55
06- "Sentire la voce" (aus Subte) 12:45
07- "Elogio de la telaraña" 14:20
08- "Kühles Wort", micro-Hörspiel 1:00
09- "Inversion of a Fourth" 1:00
10- "Nocturno sintético" 1:00
11- "Zitatende" 5:05
12- "Relámpagos sobre Júpiter" 5:15
13- "Solidità della nebbia" 10:45
14- "Tango oublié" 15:00
CONTENT
Selbstbildnis mit Elektronen
Radiosendung, Januar/Februar 2014
von Juan María Solare
(donsolare@gmail.com)
Liebe Liebhaber der elektronisch hergestellten und organisierten Klänge:
In den folgenden zwei Stunden werden wir uns mit meiner elektroakustischen Musik beschäftigen – und deshalb trägt diese Sendung den Titel Selbstbildnis mit Elektronen.
Point of no return wurde als elektroakustisches Ballett konzipiert (das jedoch nie zur Aufführung kam). Die rhythmische Dimension ist hier wesentlich: Die wichtigste Methode sind überlappende Ostinati und rhythmisches Morphing (allmählicher und kontinuierlicher Übergang einer rhythmischen Figur in eine andere). Die letzte Sektion verwendet eine Aufnahme von einem "cacerolazo" in Buenos Aires: eine Protestform der argentinischen Mittelschicht, die daraus besteht, dass Hunderte oder Tausende von Menschen Töpfe schlagend gegen die willkürlichen Kürzungen, die Wirtschaftskrise und die elende politische Führung demonstrieren. Das akustische und soziologische Phänomen des argentinischen "cacerolazo" ist eine Reaktion auf die Konsequenzen, die Rezepte des Neoliberalismus ohne jede Bremse anzuwenden. Das akustische Ergebnis dieses Zitats ist in dem Klangbild der Komposition absolut integriert, es wirkt nicht als "Fremdkörper".
Der Titel des Stückes (Point of no return) ist eine Anspielung auf einen Aphorismus von Franz Kafka, der in seinen "Betrachtungen über Sünde, Leid, Hoffnung und den wahren Weg" schreibt: "Von einem gewissen Punkt an gibt es keine Rückkehr mehr. Dieser Punkt ist zu erreichen."
Point of no return wurde am 13. April 2003 (Palmsonntag) in der Akademie für Tonkunst in Darmstadt uraufgeführt, im Rahmen des Konzertes "Begegnung mit Lateinamerika - Elektroakustische Musik" während der 57. Arbeitstagung des Institutes für neue Musik und Musikerziehung.
Argentinische Erstaufführung: in einem Konzert der Gruppe "Imaginario Sur" des IUNA (Instituto Universitario Nacional de las Artes) am 18. August 2004 im Saal La Manufactura Papelera, San Telmo, Buenos Aires.
Ursendung im Radio Fabrik (Salzburg, FM 170.5) in der Sendung "Lyrik und Musik aus Lateinamerika", moderiert von Dr. Luis Alfredo Duarte Herrera am Sonntag 13. Juni 2004.
Brasilianische Erstaufführung: 12/NOV/2006, im Eröffnungskonzert der 3. MIMEJF (Mostra Internacional De Música Eletroacústica De Juiz De Fora) im Museu de Arte Moderna Murilo Mendes, der Universidade Federal de Juiz de Fora, in Juiz de Fora (Minas Gerais, Brasil); Organisation und Verräumlichung: Paulo Motta.
"Point of no return" erhielt im September 2005 den ersten Preis beim 2. "Concurso Promociones Electroacústicas" organisiert von der Federación Argentina de Música Electroacústica (Filiale Buenos Aires) zusammen mit dem Conservatorio Nacional und dem Instituto Tecnológico ORT.
"Point of no return" von Juan María Solare dauert genau 5 Minuten.
Das folgende Stück trägt den Titel Trituration (also Zermalmung, Zerreibung).
TRITURATION ist ein fast 9-minütiges Stück, das auf einem einzigen Klang von 900 Millisekunden und einer einzigen Arbeitsmethode basiert: Granularsynthese. Ein Beispiel für die Reduktion der Mittel. Und eine Entdeckung: Was alles in einem Klängchen steckt!
Die Granularsynthese ist eine der ersten Methoden synthetischer Klangerzeugung, die schon vor 1950 skizziert wurde. Sie besteht darin, einen schon in sich kurzen Klang zu fragmentieren (daher "triturar" – zerreiben) und diese Fragmente (mit oder ohne Transformationen) wieder in diverse Klangkonstrukte zu gruppieren. Jedes Körnchen kann sogar nur ein paar Millisekunden dauern. Man kann diese Methode mit der schnellen Aufeinanderfolge von 24 Bildern pro Sekunde im Film vergleichen, was dort die Illusion von Bewegung generiert. Auch dem Puntillismus von Georges Seurat (oder anderen) ist das Verfahren verwandt. Das heißt, jedes Korn ist nicht isoliert hörbar; was interessiert ist die Menge der Pünktchen, die Gesamtheit.
In einem gewissen Moment von Trituration, gegen Ende (genau in der Minute 8:00), erklingt der ursprünglichen Klang unverändert: eine mit den Fingern geschlagene Tuba (eigentlich klingt sie wie Blech). Paradox klingt das ursprüngliche Sample in diesem Kontext radikaler Transformationen fast wie ein Fremdkörper. Paradox deswegen, weil gerade aus diesem Klang alles stammt.
Um die Transformationen herzustellen habe ich zwei kostenfreie Programme verwendet: Granulab (von Rasmus Ekman) und FX2 (von Nick Jones), vielen Dank an die beiden.
Trituration entstand im November 2001 im Rahmen eines Programms als Composer in residence der Künstlerhäuser Worpswede (bei Bremen). Das Stück ist Cecilia Ghio gewidmet.
Trituration, von Juan María Solare, Dauer: 8:45
Das folgende Stück trägt einen italienischen Titel: "Voi ch'intrate".
Das 4-minütige Stück "Voi ch'intrate" basiert ausschließlich auf dem Klang der Tür einer Toilette der Berliner Staatsbibliothek. Es entstand für "The Door Project", eine Initiative vom englischen Komponisten und Software-Entwickler John ffitch.
Der Klang dieser Tür wurde "entdeckt" während der International Computer Music Conference in Berlin im September 2000. Dieses Event fand in der Staatsbibliothek Berlins statt. Die Komponisten konnten dann ein Werk für ein off event der Conference im darauffolgenden Jahr komponieren, die in Kuba stattgefunden hat.
So ist "Voi ch'intrate" auch Beispiel für ein Werk, das auf einem einzigen Klang, auf einem "Ur-Sample" basiert.
Zur Struktur: das Werk ist in 25 kleinen "Inseln" oder Variationen organisiert. Diese 25 Inseln tragen diversen Klanginformationen, die in einem Griechisch-lateinischen Quadrat organisiert wurden, um ein Maximum an Mannigfaltigkeit zu garantieren.
Der Titel -"Voi ch'intrate"- stammt von der berühmtesten Tür der Literatur, worauf den lapidarischen Satz steht (laut Inferno, III, 9): "Lasciate ogne speranza, voi ch'intrate". Auf Deutsch: "Tu, der, du eintrittst, alle Hoffnung ab" oder auch "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren" ["Laßt jede Hoffnung fahren, die ihr mich durchschreitet".]
Das Werk wurde in Mollina (Andalusien) im Juli 2001 geplant und in Worpswede wenige Wochen danach ausgeführt. Diese Komposition ist dem argentinischen Mathematiker Pablo Amster gewidmet.
Ursendung in Radio Bremen, Sendung "Fresco" vom 5. September 2001 (moderiert von Marita Emigholz). Uraufführung im Konzert: 22. September 2001 im Saal Caturla des Theaters Amadeo Roldán in La Habana, Cuba, während der International Computer Music Conference 2001.
Voi ch'intrate" von Juan María Solare. Dauer: 4 Minuten.
Das folgende Stück gießt relativ neuen Wein in vergleichsmäßig alte Schläuche. Der Titel lautet, auf Spanisch, "Preludio granular y Fuga", also "granulares Präludium und Fuge". Eine musikalische Form der Barockzeit, die wie die Fuge mit elektronischen Klängen ausgeführt wird: mit Klängen also, die man vor dem zwanzigsten Jahrhundert nicht hören konnte. Das Ergebnis –vor allem in der Fuge– hat in sich auch etwas humorvolles, das sich aus dieser Spannung über dreihundert Jahren ergibt. Die Wahl der Klangfarben spielt dabei bestimmt auch eine Rolle.
Die ganze Komposition basiert auf einem einzigen Klang: ausschließlich auf dem Klang eines einzigen Claves-Schlags. Das Präludium verwendet Granularsynthese, die Fuge lediglich einfache Transpositionen des Ur-Schlages.
Das Werk entstand in Worpswede, Anfang Februar 2002.
"Preludio granular y Fuga" von Juan María Solare hat eine Spieldauer von knapp 4 minuten.
Das folgende Stück ist Teil einer Suite, die sich in einem langsamen Entstehungsprozess befindet: "Lluvia verde en Plutón" (Grüner Regen auf Pluto) ist Teil der Suite "Planeten".
Diese kurze abstrakte Etüde entstand in Köln (im Studio des Komponisten) am 31. August und 1. September 2003. Die Dauer beträgt knapp drei Minuten. Der Titel bezieht sich auf einem Traum, den ich anderthalb Jahre zuvor hatte, nach dem die Beauftragten, das Solarsystem zu retten, sich nach der ersten Arbeitsphase auf Pluto treffen sollten. Meine erste Aufgabe war es gewesen, einen grünen Regen anzuhalten, der aus Tropfen schwer wie Quecksilber bestand.
Musikalisch gesprochen basiert dieses Stück auf Klängen, welche an die Klangsynthese der heroischen 50er Jahre der elektronischen Musik erinnern.
Die Dramaturgie von "Lluvia verde" ist grundlegend monodisch: kaum geschieht mehr als ein Phänomen simultan. Wie der Monolog eines Außerirdischen - und vielleicht wird ja auf Pluto tatsächlich in dieser Sprache gesprochen.
Grüner Regen auf Pluto ist das erste Stück meines geplanten elektroakustischen Zyklus von Planeten, den ich von Außen zum Inneren des Sonnensystems zu komponieren anfing. Das letzte Stück wird folglich Mercurio transita davanti al sole sein (Merkur zieht an der Sonne vorbei - Titel entnommen einem futuristischen Gemälde von 1914 von Giacomo Balla).
Mittlerweile hat Pluto seinen Status als Planet verloren (jetzt wird er „Zwergplanet“ genannt). Was tun? Entweder das Stück vernichten (nie!) oder die restlichen Zwergplaneten (wie Ceres) dem Zyklus hinzuzufügen. Man wird sehen.
"Lluvia verde en Plutón" (Grüner Regen auf Pluto) von Juan María Solare hat eine Spieldauer von knapp 3 minuten.
Das war "Lluvia verde en Plutón" (Grüner Regen auf Pluto), aus dem Zyklus Planeten, von Juan María Solare. Sie hören die Sendung Selbstbildnis mit Elektronen; am Mikrophon der Komponist.
Das folgende Stück ist auch Teil einer Suite, und zwar aus SUBTE. Dies Werk ist ein Soundscape, eine Klanglandschaft, aber nicht einer bestimmten Stadt oder Region, sondern der unterirdischen Welt der Untergrundbahnen. "Subte" ist auf Spanisch die Abkürzung für "Subterráneo" (=Unterirdisch) und das ist in Buenos Aires die übliche Benennung von dem, was woanders als "Metro" bekannt ist. Die Dramaturgie des Werkes besteht aus einer klanglichen Reise durch die U-Bahnen von fünf europäischen Städten: London, Madrid, Paris, Köln und (überraschend) Venedig.
Die Untergrundbahnen sind die Arterien der Erde, vom Ort, wo "alles" zusammenlebt. Vier fünftel des Werkes beschäftigen sich mit Geräuschen der Unterwelt aber die riesige Coda –das Schlußstück, das wir gleich hören werden– ist die Rückkehr an die Oberfläche.
An der Oberfläche, in Venedig, erscheinen wir in Wirklichkeit in einer atypischen Welt. Venedig ist die "Anti-Untergrundbahn"; wir kommen in eine Welt zurück, in der die gewöhnlichen Werte aufgehört haben, zu gelten. Das Ende: Wassergeräusch der "traurigen Gondel", die uns zum Friedhof bringt.
"Sentire la voce", letztes Stück des Werkes "SUBTE" von Juan María Solare hat eine Spieldauer von knapp 13 Minuten.
Die Kooperation von elektronischen und akustischen Klängen hat für mich immer einen besonderen Reiz gehabt, denn sie thematisiert diverse Polaritäten, wie synthetisch hergestellter versus natürlichem Klang, im Voraus aufgenommen versus in Echtzeit produziert, oder feste versus freie Klänge. Es besteht deshalb eine zusätzliche Ironie, ein Stück dieser Natur als Aufnahme zu hören, ein Stück, das ursprünglich für die Spannung zwischen Aufnahme und Live Instrument konzipiert wurde.
Elogio de la telaraña (Lob des Spinnennetzes) entstand im Jahre 2006. Der Titel spielt auf die Besaitung der Gitarre an, die an ein Spinnennetz erinnert. Dieses Werk, dessen Dauer 14:20 Minuten beträgt, ist Prof. Roberto Aussel gewidmet, der auch die Uraufführung gespielt hat.
Entgegen der empfohlenen Vorgehensweise komponierte ich zunächst den elektronischen Teil, daraufhin montierte ich den Gitarrenpart. Beide Schichten -Tonband und Solist- sind aus den gleichen musikalischen Ausgangsmaterialien hervorgegangen (zum Beispiel gleichen Intervallstrukturen und rhythmischen Modellen).
Entscheidend bei dieser Mischgattung ("Live" Instrumentalist und präformierte Klänge auf Tonband) ist die Synchronisierung und der Dialog zwischen den beiden. Ein solcher Dialog wird durch klare Orientierungspunkte im Tonband erleichtert.
"Elogio de la telaraña" (Lob des Spinnennetzes) von Juan María Solare, für Gitarre und elektronische Klänge. Solist: Roberto Aussel. Spieldauer: 14 Minuten und 20 Sekunden.
Es folgen drei elektroakustische Miniaturen, jeweils eine Minute lang. Verzichten wir deshalb auf extensive Kommentare.
"Kühles Wort" ist ein Mikro-Hörspiel mit Text von Michael Augustin. Diese Miniatur beinhaltet vier Klangebenen, die vom Verständlichkeitsgrad des Textes definiert werden:
a) Haupttext, total verständlich, ohne Transformationen
b) Textfragmente (einzelne Worte), leicht verfremdet
c) Textfragmente, radikal verfremdet
d) Nebengeräusche, "akustische Kulissen", die irgendein Bezug zum semantischen Feld des Textes haben.
"Kühles Wort", Mikro-Hörspiel von Juan María Solare mit Text von Michael Augustin. Spieldauer: 1 Minute.
Die folgende Miniatur trägt den Titel "Inversion of a Fourth" (Umkehrung einer Quarte).
Nur eine Sache geschieht in diesem Sonoclip: das harmonische Intervall der Quarte (C-F) wird allmählich umgekehrt, bis es zur Quinte wird (H-Fis). Ein Zuhörer kann vielleicht nicht genau den Zeitpunkt identifizieren, in dem es eine Tonänderung gab; er /sie merkt aber, dass das Ende nicht wie der Anfang ist. Minimalistisch und nur aus Sinustönen bestehend, ist diese Miniatur eine klangliche Reverenz vor La Monte Young. Eigentlich geschieht hier noch was: die obere Note bewegt sich im Stereoraum von rechts nach links und die tiefere Note von links nach rechts. [Oder war es andersrum?]
"Inversion of a Fourth" von Juan María Solare. Spieldauer: 1 Minute.
Eine dritte Miniatur möchte ich noch fast kommentarlos vorstellen: Nocturno sintético (Synthetisches Nachtstück), entstanden im April 2003 in Köln. Dauer: 1 Minute
Das folgende Stück trägt den Titel "Relámpagos sobre Júpiter" (Blitze auf dem Jupiter) und ist Teil der elektronischen Suite Planeten. Das Stück, das im Januar 2012 entstand, ist Hans Ulrich Humpert in memoriam gewidmet, ehemaliger Assistent von Herbert Eimert an der Musikhochschule in Köln und da auch mein Lehrer für elektroakustische Komposition.
"Relámpagos sobre Júpiter" (Blitze auf dem Jupiter) von Juan María Solare hat eine Spieldauer von 5 Minuten und 15 Sekunden.
Auf unserem Programm steht jetzt Solidità della nebbia (Festigkeit des Nebels) für Bassetthorn und elektronische Klänge.
Der Klarinettist Michele Marelli, den ich 1998 während der Stockhausen-Kurse in Kürten kennenlernte, bestand monatelang darauf, daß ich ihm ein Stück für Bassetthorn und Tonband schreiben solle - und so ist ihm dieses Werk in Freundschaft gewidmet. "Solidità della nebbia" ("Festigkeit des Nebels") basiert fast ausschließlich auf Samples des von Michele Marelli gespielten Bassetthorns und Aufnahmen seiner Stimme.
Der Titel wurde von einem Bild Luigi Russolos (1885-1947) übernommen, einem Gemälde, in dem die Farbe Blau vorherrscht und das ich am 1. Januar 2000 im Museum Peggy Guggenheim in Venedig gesehen habe (eine interessante Art, das Jahr zu beginnen). Neben seiner Malerei hat sich Russolo auch als Musiker betätigt und war einer der Protagonisten des italienischen Futurismus. Er war einer der ersten, der bereits 1913 (mit seinem berühmten Manifest L'arte dei rumori) Musik beschrieb, die nur aus Geräuschen bestehen sollte - vor allem aber hatte er richtig erkannt, daß Geräusche kompositorisch geordnet werden müssen und nicht bloß tonmalerisch-dekorative Zutaten sein dürfen: ein wichtiger Grundsatz, den Russolo allerdings mit seinen selbstentworfenen Geräuschinstrumenten (den sogenannten intonarumori) kaum umsetzen konnte; erst mit den technischen Mitteln der elektronischen Musik konnten die futuristischen Ideen angemessen verwirklicht werden. Etwas überspitzt könnte man vielleicht sogar sagen, daß die gesamte gegenwärtige Computermusik ihre Existenz futuristischen Ideen schuldet. Der Titel dieser Komposition "Solidità della nebbia" stellt daher eine Art Hommage dar.
Der Ausgangspunkt der Komposition ist in der Harmonik zu suchen, deren Akkord-Felder aus einer 13er-Tonreihe abgeleitet wurden. Die gleiche Tonreihe -oder auch "Melodie"- wurde verwendet, um mit ihrem Ton- und Dauernvorrat die Bassetthorn-Partie zu gestalten; die Transpositionen des präformierten Materials auf dem Tonband wurden ebenfalls durch die Reihe bestimmt, und sogar die formale Konstruktion des Stückes folgt den Rhythmen dieser Tonfolge, indem gewissermaßen einer Viertelnote der "Melodie" eine Dauer von 20 Sekunden zugeordnet ist.
Die Uraufführung von "Solidità della nebbia" erfolgte am 12. Oktober 2000 durch Michele Marelli (Bassetthorn) in der Aula der Hochschule für Musik Köln, zu Anfang des Festivals anläßlich des 35jährigen Bestehens des Hochschulstudios.
Dies Stück, auch in der Werkfassung für Bassklarinette und elektronische Klänge, wurde darüber hinaus in Italien, Brasilien, Argentinien und Perú aufgeführt.
Solidità della nebbia (Festigkeit des Nebels) für Bassetthorn und elektronische Klänge, von Juan María Solare. Solist: Michele Marelli. Spieldauer: 10 Minuten und 45 Sekunden.
Das letzte Stück in der heutigen Sendung hat den französsischen Titel "Tango oublié", also "Vergessener Tango", aus dem Jahre 2007.
Ein Bißchen Vorgeschichte: ich war etwa acht Jahre alt und mein Vater nahm mich mit, eine Straße anzusehen, die gerade demoliert wurde, um eine Autobahn zu bauen. Danach erfuhr ich, dass diese Pasaje Seaver (Seaver Gasse) eine der traditionsreichsten in der Bohème-Szene von Buenos Aires war. So symbolisiert die Pasaje Seaver die systematische Zerstörung des Gedächtnisses (der Vergangenheit) im Namen des Fortschritts: Zerstörung, die gerechtfertigt sein kann oder nicht –das ist schon eine Definitionssache.
Später komponierte ich einen Tango Nuevo für Klavier betitelt Pasaje Seaver, mit der gezielten Absicht, ihn "auszuschlachten" und als Material für das elektroakustische Werk Tango Oublié zu verwenden, das in Berlin konzipiert wurde (September 2000, während der ICMC - International Computer Music Conference). Die Grundidee des Tango Oublié war, eine Collage aus zerstäubtem Tango-Material zu komponieren; ein verformter Tango, verzerrt, wie durch die Zeit gefiltert (also teilweise vergessen). Aber dieses Material musste auch meines sein, ich wollte keine fremde Aufnahmen nehmen und mischen, sowohl aus ethischen Gründen (mir scheint eine Invasion) wie rechtlichen (copyright Fragen). Deswegen stammen alle Materialien, die ich in Tango Oublié verwendet habe, aus meinem Feder: ich habe ihn (Pasaje Seaver) komponiert, gespielt und aufgenommen. [Alle Rechte sind mein, mein, mein.]
Tango Oublié -und Pasaje Seaver sind dekonstruierte Tangos; Fragmente die "nach Tango riechen", mit mehr oder weniger Kontinuität gereiht. Absichtlich "geschieht nichts", er geht nirgendwohin, er verfließt nicht, sondern ist ein Bild der totalen Verwüstung, der Trostlosigkeit und der Ruine.
* ENDE *
Hier werden Produktionen aus Archiven der Elektroakustischen Musik, wie z.B. dem Archiv der DEGEM oder dem IDEAMA- und dem DEGEM-Archiv des ZKM, dem Archiv des elektronischen Studios der TU Berlin sowie anderen internationalen Archiven und Dokumentationen elektroakustischer Kunst unter verschiedenen Aspekten präsentiert.