Berichte / Features

Oktober / November 2014

KunststoffabfŠlle, zersplitternde Glasflaschen und selbstgebaute Synthesizer. Nikolaus Heyduck im Portrait.

 

Nikolaus Heyduck, 1957 in Kassel geboren, ist bildender KŸnstler, Musiker und Komponist. 1979 ging er an die StŠdelschule Frankfurt am Main, wo er bis 1985 in der Filmklasse von Peter Kubelka studierte, sowie bei Bernhard JŠger, Hermann Nitsch und anderen. Ab 1980 besuchte er regelmŠ§ig die Internationalen Ferienkurse fŸr Neue Musik in Darmstadt und belegte u.a. Kurse bei Johannes Fritsch und Clarence Barlow. Ein vertiefendes Studium der Komposition erfolgte von 1990 bis 1995 bei Toni Všlker an der Akademie fŸr Tonkunst Darmstadt. Stipendien erhielt Heyduck von der Frankfurter KŸnstlerhilfe (1989), dem Internationalen Musikinstitut Darmstadt (1994 und 1996) und dem Land Hessen (1996/97), Atelierstipendien von Wacker-Kunst, MŸhltal (2000) und von der Association of Icelandic Visual Artists (SêM), Reykjavik (2007). Mitglied der DarmstŠdter Sezession und der Deutschen Gesellschaft fŸr elektroakustische Musik (DEGEM).

www.nikolaus-heyduck.de

 

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Tracks:

01 Nikolaus Heyduck: Polystyrol 1 (Ausschnitt)/ 07:59

02 Nikolaus Heyduck: Solo fŸr Alphorn / 09:19

03 Nikolaus Heyduck: AUDIOS (Ausschnitt) / 21:06

04 Nikolaus Heyduck: Sonus Lucis B3 / 03:32

05 Nikolaus Heyduck: Sonus Lucis B4 / 02:39

06 Monika Golla und Nikolaus Heyduck: No. 1 Hringvegur / 20:28

07 Monika Golla und Nikolaus Heyduck: Umkehr (Ausschnitt) / 09:48

08 Nikolaus Heyduck, Andreas H.H. Suberg und Andrei Roumiantsev: Trans III / 06:55

09 Nikolaus Heyduck: Durch Nacht / 13:15

10 Nikolaus Heyduck: Slow Motion Repeats of Breaking Glass / 04:19

11 Michael Harenberg und Nikolaus Heyduck: Reality Reaktor - interlude Žlectronique (Ausschnitt) / 11:00

 

 

Zu den Kompositionen:

 

Nikolaus Heyduck

Polystyrol 1 (Ausschnitt) Originaldauer 16:00

1993

Ton zu gleichnamigem Video

 

Ein (sehr) gro§er Haufen von KunststoffabfŠllen (darunter viele Teile aus Polystyrol) wurde mit einer Videokamera durchpflŸgt. Die so entstandenen Bildfolgen mit der dazu gehšrenden Tonspur wurden mit zunehmenden und sich verdichtenden Wiederholungen montiert. In der Wahrnehmung ergibt sich ein Prozess von weitgehender ZufŠlligkeit der Klangereignisse in dem zunŠchst amorphem Material hin zur Sinnhaftigkeit von AblŠufen, die mehr und mehr als Rhythmen deutbar erscheinen.

 

 

Nikolaus Heyduck

Solo fŸr Alphorn

1985/1986

Malte Burba, Alphorn

Der Interpret erhŠlt eine grafische Improvisationsvorlage. DafŸr wurde eine (subtil retuschierte) Ansichtskarte mit Alpenmotiv durch wiederholtes Fotokopieren in unterschiedlich grobe Texturen aufgelšst. In jedem der insgesamt 18 Bilder bezeichnen eingefŸgte wei§e Rahmen diejenigen Bereiche, deren Inhalte als Vorgaben fŸr VerlŠufe von Dynamik und Tonhšhen gedeutet werden sollen. Hinzu kommen schriftliche Hinweise zum innerhalb eines sich ein weiter Klangraum, in dem Cluster, Akkorde und rhythmische Texturen entstehen.

 

Nikolaus Heyduck

AUDIOS (Ausschnitt); Originaldauer 25:05

1982/2011

 

Der Titel fŸr diese Arbeit ist einem tontechnischen GerŠt entlehnt, welches Ende der 1970er Jahre konzipiert wurde. Die beiden Entwickler Klaus Fischer und Peter Leunig befanden sich damit an vorderster Front der digitalen Signalbearbeitung bis hin zum Sampling.

In erster Linie ist das GerŠt mit dem Namen Audios ein Pitch-Transposer, der eine Ÿber Mikrofon eingegebene Stimme oder einen Instrumentalklang in andere Tonhšhen verschiebt. Es ist damit zum Beispiel mšglich, zwei begleitende Intervalle einzustellen. Ab 1991 hatte ich immer wieder Gelegenheit, mit dem Prototyp sowie dem ersten SeriengerŠt arbeiten zu kšnnen. 1982 experimentierte ich erstmalig mit GerŠuschen, die allein durch RŸckkopplungen ohne weiteren Input entstehen, und weitete diese Technik schlie§lich auf Verschaltungen mit mehreren GerŠten aus. Die daraus resultierenden kybernetischen KlangablŠufe bilden die Grundlage fŸr die hier vorliegende Komposition mit dem Titel AUDIOS, in der Aufnahmen verschiedener Sessions zusammenflie§en.

 

::DEGEM-NH:Bilder zu den Musikbeispielen:AudiosAfTKD.jpg

 

Nikolaus Heyduck

Sonus Lucis

Installation mit Licht und Klang

Idee, Objekte und Licht: Marie Liuse Frey

Philippshospital Riedstadt, Kulturzentrum Kellerberg

2005

 

KlŠnge im Gewšlbe                                                                                                     

WŠhrend des Aufbaus der Ausstellung begleitete die beiden KŸnstler das GerŠusch eines EntfeuchtungsgerŠtes, welches Tropfen fŸr Tropfen Wasser aus der Luft kondensierte. Das  fŸhrte, gepaart mit der Vorstellung, dass in frŸheren Zeiten der Kellerberg mit Hilfe von Eisblšcken in dessen Zentrum - der Rotunde - als KŸhllager genutzt wurde, rasch zu der Idee, auch bei der Klanginstallation Aufnahmen von WassergerŠuschen in dem einen oder anderen ãAggregatzustandÒ eine tragende Rolle zuzuweisen. DarŸberhinaus lassen sehr prŠsente rhythmische Elemente die Entsprechung zum auch in Marie Luise Freys Arbeiten umgesetzten Thema ãZeitÒ zu. Die gesprochene Textzeile ãalles hat seine ZeitÒ - elektronisch bis zur Unkenntlichkeit gedehnt - bildet eine weitere Kategorie des Klangmaterials.

 

Bei der elektroakustischen Umformung aller Aufnahmen im Tonstudio standen folgerichtig vor allem Verfahren zur VerŠnderung des Zeitablaufs im Mittelpunkt: extreme Dehnungen ebenso wie Beschleunigungen. Werden akustische Ereignisse in immer schnellerer Folge wiederholt, schlŠgt die Wahrnehmung von Zeit um in die von Klang. Dies ist der Bereich von PhŠnomenen wie Nachhall und Resonanz, die Nahtstelle zwischen Zeit und Raum und der Grund, warum die KlangeindrŸcke mit verschiedenen Lautsprechern oder in verschiedenen Umgebungen so unterschiedlich sein kšnnen. Gewšhnlich wird heute versucht, diese EinflŸsse so neutral wie mšglich zu halten. Man kann sie aber auch verstŠrken und sich zunutze machen, was nahe liegt, wenn Zeit und Raum Thema sind.

 

::DEGEM-NH:Bilder zu den Musikbeispielen:SonusLucis.jpg

 

 

Monika Golla und Nikolaus Heyduck

№1 Hringvegur

Elektroakustische Komposition

2012

 

Seit dem ersten gemeinsamen Aufenthalt von Golla und Heyduck auf der Vulkaninsel Island besteht eine enge kŸnstlerische Zusammenarbeit bei vielen Projekten mit dem Schwerpunkt Klang- und Medienkunst. Als Duo wurden sie 2010 fŸr den Deutschen Klangkunstpreis nominiert.

 

Wie schon beim ersten Mal umrundeten sie auf der Suche nach neuem Bild- und Tonmaterial auch bei ihrer zweiten Islandreise im Juni 2011 die Insel auf der "№1" -  der Ringstra§e (islŠndisch "Hringvegur"). Mit Stichstra§en ins Hochland und zu den Fjorden erschlie§t sie das Land. Diese Fahrt dauerte rund eine Woche, wobei fahren zur primŠren LebensŠu§erung wurde. Durch die Scheibe des Autos entstanden Videoaufnahmen und dabei auch das Tonmaterial fŸr die Komposition. Die spŠter vom Bild getrennt bearbeiteten "O-Tšne" der Videofilme gewinnen eine ganz eigene Aussagekraft. So vermitteln beispielsweise ihre Klangtexturen vieles von der wechselnden Beschaffenheit der Stra§e. Durch gezielte Eingriffe in die spektrale Balance der Aufnahmen wurden klangliche Ableitungen gebildet. Auch wenn dabei EindrŸcke einflossen, die die Autoren beim Durchfahren der Landschaft gewannen, geht es jenseits naturalistischer Abbildung darum, beim Zuhšren individuelle AssoziationsrŠume zu šffnen. Der ursprŸngliche Zusammenhang des zeitlichen Ablaufs ist aufgelšst. Das "non linear editing" des Audioschnitts dekonstruiert die Chronologie und erlaubt es, das Wesen des Fahrens - unabhŠngig von Start und Ziel - herauszuarbeiten.

 

 

Monika Golla und Nikolaus Heyduck

Umkehr (Ausschnitt)

Klanginstallation in der Bergkirche Wiesbaden als komplementŠrer Teil zur zeitgleichen Videoinstallation im Kunsthaus

2014

 

Zwšlf gleichartige Lautsprecher-Objekte sind kreisfšrmig in der Bergkirche angeordnet. In der tellerartigen Vertiefung jedes dieser Objekte liegen zwei bis drei Glasscherben von gebrauchten GlŸhbirnen. Die Anschlusskabel sind sichtbarer Teil der Installation. Im Innenkreis sind sie ornamental angeordnet und nehmen formal Bezug auf die Architektur des GebŠudes und auf die Ornamentik von Fensterrosetten.

 

Jeder der zwšlf Lautsprecher erhŠlt individuelle Klangsignale. Diese stammen von Tonaufnahmen aus der Umgebung der Bergkirche. Die genauen Aufnahmeorte sind aufgrund geometrischer Operationen ausgehend von architektonischen Details und Position der Bergkirche in Bezug zum Kunsthaus ermittelt. Die Aufnahmen beinhalten somit verschiedenste UmweltklŠnge einschlie§lich menschlicher Stimmen, Fahrzeuge und WitterungseinflŸsse. Bevor sie die Lautsprecher erreichen, werden sie jedoch so gefiltert, dass sich eine Ÿberproportionale Betonung der Tieftonanteile ergibt. Es bleiben tieffrequente Vibrationen, welche die Lautsprecher in Schwingungen versetzen. Selbst kaum zu hšren, bewegen sie die Glasscherben, durch die schlie§lich ein neues Klingen entsteht.

 

Nikolaus Heyduck, Andreas H.H. Suberg und Andrei Roumiantsev

Trans III

Elektroakustische Komposition zu einem Video von Christof Heyduck

1991

 

Trans III ist Teil einer Reihe von vier Videos des Malers und BŸhnenbildners Christof Heyduck (*1927). Die Musik zu diesem Teil entstand als Kollektivarbeit der drei Komponisten Andrei Roumiantsev, Andreas H.H. Suberg und Nikolaus Heyduck. Sie hatten sich in der Kompositionsklasse von Toni Všlker an der Akademie fŸr Tonkunst in Darmstadt kennen gelernt und brachten fŸr diese Produktion ihre jeweiligen Interessenschwerpunkte dieser Zeit mit ein. Dazu gehšren Erkundungen von GlasklŠngen sowie von KlŠngen, die entstehen, wenn Klaviersaiten mit Elektromotoren bearbeitet werden.

 

 

Nikolaus Heyduck

Durch Nacht

fŸr elektrisch verstŠrkte Blockflšten und Zuspielung

1993

Ulrike ZŸrn, Blockflšten

 

Dieses StŸck basiert ausschlie§lich auf KlŠngen verschiedener Blockflšten. Beim Zuspiel-Part sind sie zum Teil so stark bearbeitet, dass ihr Ursprung weitgehend verborgen wird. Der Live-Part ist durch Zeitfenster festgelegt. Abgesehen von Vorgaben zu Gestus und Tonlage ist er  improvisatorisch angelegt.

 

 

Nikolaus Heyduck

Slow Motion Repeats of Breaking Glass

fŸr Glasinstrumente und Zuspielung

1992

Auftragskomposition des GLASOTRONIK-Ensembles

 

Die Aufnahme stammt von einer VorauffŸhrung in der PATIO-Galerie, Neu-Isenburg

 

Das GerŠusch einer zersplitternden Glasflasche bildet die Grundlage fŸr diese Arbeit. Es wurde im Treppenhaus der damaligen Wohnung des Komponisten mit zwei Mikrofonen aufgenommen (keines der beiden wurde von Splittern getroffen). Die Aufnahme bestimmt in proportionaler †bertragung auf die Gesamtdauer des StŸckes dessen Gliederung und gibt dabei einen Klangverlauf vor, der von den Instrumenten des Glasorchesters nachgebildet wird. Dabei dienen markante Ereignisse im Klanggeschehen als Auslšser fŸr die Wiedergabe des OriginalgerŠusches in unterschiedlichen Bearbeitungsgraden. Folgende Glasinstrumente kamen zum Einsatz: gestimmte Glasflaschen, Glasharfe (WeinglŠser), SpringschŸssel, Murmelschale und Splitterspiel. Bei spŠteren AuffŸhrungen wurde das Splitterspiel durch den Tonbandmodulator ersetzt. Dabei handelt es sich um ein StŸck Tonband, welches mit einer einem Geigenbogen Šhnlichen Vorrichtung Ÿber einen freigelegtenTonkopf gefŸhrt wird*. Das Tonband ist bespielt mit einer Kopie genau derjenigen Aufnahme einer zersplitternden Glasflasche, aus der das gesamte StŸck abgeleitet wurde.

 

*(vergl. Tonbandgeige von Laurie Anderson).

 

::DEGEM-NH:Bilder zu den Musikbeispielen:SlowMot Partitur.jpg

 

 

Michael Harenberg und Nikolaus Heyduck

Reality Reaktor - interlude Žlectronique

fŸr analoge und digitale Live-Elektronik

2006

 

Mitschnitt einer AuffŸhrung der ignm ZŸrich am 15.12.2006, Kunstraum Walcheturm, ZŸrich

 

Zum Einsatz kamen alte analoge Instrumente und speziell selbstgebaute Synthesizer, ebenso wie digitale Technik und Computer, die Ÿber diverse Interfaces live gespielt wie auch vorprogrammiert eingesetzt wurden. Aus der technischen wie kompositorischen interaktiven Verschaltung zwischen beiden Musikern und Komponisten entsteht eine hybride Musik, bei der neben dem bei elektroakustischer Kunst unŸblichen Aspekt medialer MaterialitŠt vor allem asthetisch interessante Formbildungen und Strukturen im Zentrum stehen. Im Studio vorbereitetes Material trifft im "Reaktor" der AuffŸhrungssituation auf Artefakte medialer Verschaltungen, wird zwischen den beiden Musikern wechselseitig ausgetauscht, umgeformt und geht unerwartete Beziehungen ein.

 

::DEGEM-NH:Bilder zu den Musikbeispielen:RealityR.jpg

 

 

 

 

Eine Sendung von Julia Mih‡ly.

 

 

 

Hšren Sie auf diesem Sendeplatz Reportagen von Festivals, Symposien, Kongressen und Ausstellungen rund um die vielfŠltige Szene der elektroakustischen Kunst.