Konzerte/Mitschnitte

Oktober / November 2015

Teil 1

Konzertmusik für Violine und Elektronik
mit Lenka Zupková und Andre Bartetzki
akustische und E-Violine, Elektronik: Lenka Zupková
Elektronik: Andre Bartetzki

1. Zupková+Bartetzki: Improvisation 4 / 2006 / 7:30
E-Violine, Objekte, Effektgeräte, SuperCollider
2. Anette Schlünz: Zebra / 2005 / 8:00
für E-Violine und Live-Elektronik
3. Andre Bartetzki: String-Theory / 2005 / 13:05
für Violine und Live-Elektronik
4. Lenka Zupková: Strepy / 1986 / 7:05
für E-Violine und Tonband
5. Zupková+Bartetzki: Improvisation 1 / 2006 / 7:30
akustische Violine, Objekte, SuperCollider
6. Vinko Globokar: Kartomlin Croisé / 2001 / 9:30
für Violine und Live-Elektronik


Werkkommentare und Biographien zum aktuellen Sendebeitrag

Aus einem Bericht über das Erlangener Hörkunstfestival 2006:
"Das Konzert der Violinistin Lenka Zupková und des Sounddesigners Andre Bartetzki lebt von seinen Gegensätzen: Der Polarität zwischen komponierten Werken und improvisierten Elementen auf der einen Seite und akustischen und elektronischen Instrumenten auf der anderen Seite. Dabei werden die Atmosphäre, Akustik und Räumlichkeit des Theaters Teil der Aufführung, deren Klang auf vier Lautsprecher aufgefächert wird. Das zwischen den Polen hin- und herwandernde Klangerlebnis wird somit verräumlicht. Durch ihr Spiel vermittelt Lenka Zupková einen in seiner Weise einzigartigen Querschnitt durch die klanglichtechnischen vielseitigen Möglichkeiten der Violine."

Anette Schlünz: Zebra
"Zebra" entstand auf Anregung von Lenka Zupková von August bis Oktober 2004. Ihre elektrische Violine nutzt eine Reihe von live-elektronischen Sounds, die sich mit den 4-Kanal-Klängen eines tapes (hergestellt im Studio der Akademie der Künste Berlin) mischen.Ausgangspunkt des Stückes sind höchste Töne der Violine, die sich leise, fast unmerklich kreisend auflösen, die elektronisch verfremdet werden und ihre Bewegung auf dem tape im Raum fortsetzen, dabei immer wieder von aus der Tiefe aufsteigenden virtuosen Floskeln aufgebrochen werden. Mehr und mehr doppelt sich die Violine selbst, lässt das tape als 2. Schicht wiederholt "durchleuchten". Dieser "Hintergrund" verändert sich in seinen Klanganteilen, bezieht nach 2/3 des Stückes auch mehr und mehr tiefe Register ein, bis es zum Umkippen kommt: dichtestes tape contra statische, laute Doppelgriffe.

Andre Bartetzki: String-Theory
Die Stringtheorie ist ein Versuch, alle Elementarteilchen und Fundamentalkräfte der Natur als verschiedene multidimensionale Schwingungsmoden winziger eindimensionaler Fäden (Strings) zu erklären und so in einer einzigen Theorie zu vereinen. Die von uns beobachtbare physikalische Raum-Zeit scheint nur 4 Dimensionen zu besitzen, aber es könnten ebenso gut auch mehr sein. Die Stringtheorie erfordert eine 10, 11 oder 26-dimensionale Raum-Zeit, um konsistent zu sein. Der Widerspruch zwischen Beobachtung und Theorie lässt sich dadurch auflösen, sich die nicht beobachtbaren Dimensionen als zusammengerollt vorzustellen. Statt einer Visualisierung dieser höheren Dimensionen kann man sich diese aber auch einfach als zusätzliche Parameter zur Beschreibung der physikalischen Zusammenhänge denken. Nur wenige Millimeter neben unserer 4-dimensionalen Raumzeit könnten viele parallele Universen existieren.

Lenka Zupková: Strepy
Ständige Veränderungen. Kristalle und Scherben. Ausdehnung und Erstarrung des Klangs in Raum und Zeit. Konzept: Notierten Passagen zerfallen zu Klangelementen.Freie Flächen werden geloopt, multipliziert und transformiert in neue Strukturen.

Vinko Globokar: Kartomlin croisé
für Thomas Kessler und seine Frau geschrieben._Komplexes Geigenspiel der akustisch verstärkten Violine wird allmählich verfremdet. In einer klaren Struktur werden stufenweise mehr und mehr Effekte hinzugefügt: Die Elektronik wird immer vielfältiger im Gegensatz zu den immer geringer werdenden technischen Anforderungen an das Geigenspiel - bis zur dessen vollständigen Umwandlung und Verzerrung.


Lenka Zupková
Geboren 1970 in Prag. Violinstudium an der Janacek Akademie für Musik in Brno (Tschechien) und an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover. Studium der Musikwissenschaften in Brno. Zwischen 1995 und 2000 spielte sie in verschiedenen Orchestern (NDR Hannover, Das Neue Ensemble Köln, L`Arco Hannover). Als Solistin an der Geige, an der E -Violine und an der Bratsche arbeitet Lenka Zupková unter anderem mit dem Ensemble für experimentelles Musiktheater Megaphon ( Leitung), mit dem Audiodesigner Andre Bartetzki (Berlin), mit der Flötistin Lenka Kozderkova (Prag) als Duo Goelan, mit der Tänzerin Ursula Wagner (Transito) (Hannover), mit dem Tänzer und Choreographen Mihkail Honesseau (Paris) und im Musiktheater Lafabula mit Tim von Kietzell (Hannover) zusammen. Ferner schuf sie Bühnenmusik für Stadttheater in Zürich, Nürnberg, Hannover, Aachen und Berlin. Der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Tätigkeit liegt in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Musik und Live Elektronik, Klangkunst, Jazz und tschechischer Folklore. Außerdem zeichnet sie für die Konzeption und Realisation zahlreicher interdisziplinärer Projekte (Musik, Tanz und bildende Kunst), Improvisationen und Performances verantwortlich. Ihre Konzerttätigkeit führte sie nach Deutschland, Frankreich, Tschechien, England, Polen und in die Schweiz. Fernseh- und Rundfunkauftritte in Deutschland und in Tschechien. Sie wurde Finalistin beim Wettbewerb Musica Nova 2006 für elektroakustische Musik in Prag.

Andre Bartetzki
Geboren 1962 in Berlin, studierte Tonmeister an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin. Noch während des Studiums begann er dort mit der Einrichtung eines Studios für elektroakustische Musik (STEAM), das er bis 2002 leitete. 1999-2004 lehrte er am elektronischen Studio (SeaM) der Weimarer Musikhochschule und an der Bauhaus-Universität Weimar. Er gab darüber hinaus Kurse zur Klangsynthese und algorithmischer Komposition an der TU-Berlin, HU-Berlin, der Hochschule für Musik und Theater Rostock, der Akademie der Künste Berlin, am Podewil Berlin sowie in Lissabon, Bukarest und Prag._Neben seiner Lehrtätigkeit arbeitet er als Programmierer, Sounddesigner und Toningenieur mit Klangkünstlern sowie Ensembles, Solisten, Komponisten und Veranstaltern im Bereich der Neuen Musik zusammen, u.a. Kammerensemble Neue Musik Berlin, Ensemble work in progress, United Berlin, Kairos Quartett, William Forman, Helmut Zapf, Hanna Hartmann, Yueyang Wang, Matthias Jann, Johannes Wallmann, Miguel Azguime, Lenka Zupková, Günter Heinz, Akademie der Künste, Kryptonale Berlin, Musikakademie Rheinsberg, Randspiele Zepernick. Seine Software CMask für algorithmische Komposition wird weltweit verwendet und diente anderen Programmierern als Modell für eigene Entwicklungen. Seine eigenen musikalischen und künstlerischen Projekte umfassen Klang- und Videoinstallationen, u.a. für das museum der dinge Berlin, für die singuhr hÏrgalerie Berlin und wiederholt für das Randspiele-Festival in Zepernick, Tonbandmusik sowie live-elektronische Musik. Seine Musik wurde auf internationalen Festivals für Neue und Computermusik gespielt, wie z.B. Kryptonale Berlin, LAC 2007 Berlin, ICMC2002 Göteborg, ICMC2005 Barcelona, ICMC2007 Kopenhagen, BIMESP 2002 São Paulo, SICMF 2003, 2004 und 2005 Seoul, Nuits d'hiver 2005 Marseille, ACMC 2005 Brisbane. Er wurde Finalist bei Wettbewerben für elektroakustische Musik in Bourges und São Paulo. 2004 erhielt er ein Kompositionsstipendium vom ZKM Karlsruhe, 2007 ein Aufenthaltsstipendium am Künstlerhaus Lukas in Ahrenshoop. Zwischen 1997 und 2004 war er Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für elektroakustische Musik (DEGEM) und dort u.a. für die Herausgabe der DEGEM-Mitteilungen verantwortlich.


Teil 2

Inventionen I
Berliner Festival Neuer Musik

Horatiu Radulescu: Streichquartett Nr.4, opus 33 / 49:05 / 1976-1987
Konzertmitschnitt vom 20.2.1989 im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie mit dem Arditti-Quartett
für neun Streichquartette oder ein Streichquartett umgeben von einer imaginären 128-saitigen "Viola da gamba"

"infinite to be cannot be infinite, infinite anti-be could be infinite"

"Auch wenn wir die Zeit weder hören noch sehen, weder fühlen noch riechen können, verbinden wir mit dem Lautmuster "Zeit" ein über Generationen hinweg erlerntes Erinnerungsmuster. Unter den Komponisten der Gegenwart gehört Horatiu Radulescu zu denen, die mit ihrer Musik Wesentliches zum Rätsel der Zeit mitzuteilen haben: Mehrschichtige Zeitabläufe, ihre Strukturierung, Wahrnehmung und poetisch-religiöse Aussagemöglichkeit gehören zusammen mit der Entfaltung spektralen Komponierens zu seinen zentralen künstlerischen Anliegen. Kein Geringerer als Olivier Messiaen hatte 1979 dem damals 37-jährigen Radulescu bescheinigt, daß er als "einer der originellsten jungen Komponisten unserer Zeit" in besonderer Weise "an der Erneuerung der musikalischen Sprache mitgewirkt" habe. In Radulescus umfangreichem Œuvre, das Kompositionen für Orchester, Chöre und Solisten, Kinderchor, Streichquartett sowie verschiedene unkonventionelle Besetzungen (u.a. 40 Flötisten mit 72 Flöten) umfaßt, verbinden sich mystischer Ausdruckswille mit konstruktiver Formkraft, forschendes Durchdringen der Möglichkeiten der Spektralkomposition mit klang-sinnlicher Erfindung. Indem Radulescu die temperierte Tonskala durch spektrale Skalen ungleicher Intervalle ersetzte, schuf er die Basis für seine fremdartig, archaisch und kosmisch anmutenden, bisher nicht gehörten Klangwelten. Die damit einhergehende radikale Absage an tradierte musikalische Notationssysteme und Ordnungsprinzipien fixierte der Komponist 1973 in seiner theoretischen Schrift "Sound Plasma - Music of the Future Sign". Seine Partituren sind filigrane zeichnerische Kunstwerke mit farbigen grafischen Symbolen und Anweisungen.
Bezeichnend für Radulescus Formerfindung im Dienst gehaltlichen Ausdruckswillens ist sein Streichquartett op. 33 infinite to be cannot be infinite; infinite anti-be could be infinite für neun Streichquartette (oder ein Streichquartett, das von einem imaginären 128-Saiten-Instrument umgeben ist). Während der 49 Minuten Gesamtzeit des Quartetts laufen zwei Makro-Form-Ebenen, zwei Zeitwelten gleichzeitig ab, überlagern sich und treten miteinander in Verbindung. Das erste Streichquartett spielt im Zentrum des Raumes, dessen äußeren Rand die anderen 8 Quartette umschreiben, pre-recorded oder live. Die zusammen 128 leeren Saiten dieser acht Streichquartette (pro Quartett 4 x 4 Saiten, und das mal acht) bilden eine "spectral scordatura" von 128 verschiedenen Tonhöhen, die der 36. bis 641. Frequenzkomponente eines gigantischen harmonischen Spektrums auf C entsprechen und gleichsam eine imaginäre "Viola da gamba" mit 128 Ton-Komponenten von phantastischer Raumwirkung darstellen. (...)" Hartmut Möller


Horatiu Radulescu
wurde am 7. Januar 1942 in Bukarest, Rumänien, geboren. Er hatte privaten Violinunterricht bei Nina Alexandrescu, Schülerin von George Enescu und Jacques Thibaud. 1969 erhielt er das M.A. Diplom in Komposition an der Bukarester Musikakademie, wo er Komposition, Orchestration, Analyse und formalisierte Musik bei Tiberiu Olah, Stefan Niculescu und Aurel Stroé studierte. 1970-72 belegte er Kurse für Neue Musik bei Mauricio Kagel und Luc Ferrari in Köln und bei John Cage, Iannis Xenakis, Karlheinz Stockhausen und György Ligeti in Darmstadt. 1979-81 besuchte er Kurse für computerunterstützte Komposition und für Psycho-Akustik am Pariser IRCAM. 1988 war er Stipendiat beim Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) in Berlin. 1989 und 1990 erhielt er das französische Stipendium Villa Medici hors les Murs für die USA und Italien. 1969 begann er mit der spektralen Kompositionstechnik: variable Verteilung von spektraler Energie ("spectrum pulse"), Synthese globaler Klangquellen, prozessuale Mikro- und Makro-Form, vier simultane Geschwindigkeitsschichten der Wahrnehmung, spektrale Skordaturen (Skalen von ungleichen Intervallen, die harmonischen Skalen entsprechen). Veröffentlichungen über die von ihm entwickelte Kompositionstechnik sind: Sound Plasma - Music of the Future Sign, Edition Modern, München 1973 und Musique de mes Univers, Revue Silences No. 1, Editions de la Différence, Paris 1985.

Das Arditti Quartett
Für seine inspirierten und technisch ausgefeilten Interpretationen von Werken des 20. Jahrhunderts genießt das Arditti-Quartett weltweite Anerkennung. Seit seiner Gründung 1974 durch den Primarius Irving Arditti wurden mehrere hundert Streichquartette für das Ensemble geschrieben. Diese Werke haben das Repertoire des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt und dem Arditti Quartett einen Platz in der Musikgeschichte gesichert. Welche musikalische Bandbreite das Repertoire der Ardittis aufweist, zeigen Welturaufführungen von Quartetten von Komponisten wie Harrison Birtwistle, John Cage, Elliott Carter, James Dillon, Brian Ferneyhough, Sofia Gubaidulina, Mauricio Kagel, György Kurtág, György Ligeti, Conlon Nancarrow, Wolfgang Rihm, Karlheinz Stockhausen und Iannis Xenakis. Das Ensemble ist davon überzeugt, daß eine enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten für den Prozeß der Interpretation moderner Musik entscheidend ist. Es versucht daher, mit jedem Komponisten, dessen Musik es spielt, zu kooperieren. Daß den Spielern auch die erzieherische Arbeit ein Anliegen ist, beweisen ihre weltweit veranstalteten Meisterklassen und Workshops für junge Interpreten und Komponisten.


Hier können Sie Mitschnitte und Live-Übertragungen von Konzerten, Symposien und anderen Veranstaltungen aus dem weiten Themenfeld der elektroakustischen Kunst hören.