Studioforum
April / Mai 2016: Wiederholung einer Sendung von Frank Niehusmann ueber Thomas Gerwin aus dem Jahr 2008
Woche 19-24 / 05.05. - 15.06.08
Portrait Thomas Gerwin, kuratiert von Frank Niehusmann
Frank Niehusmann interviewt Thomas Gerwin (Aufzeichnung vom 29.02.2008) und stellt mehrere seiner Werke vor.
01 Der Komponist Thomas Gerwin im Gespräch mit Frank Niehusmann / 55:15
02 Thomas Gerwin / KlangWelten-Akzent / 2003 / 0:39
03 Thomas Gerwin / Feuerwerk 17 / 2003/05 / 12:43
04 Thomas Gerwin / corrente .. b / 2006 / 05:57
05 Thomas Gerwin / weit und breit: Allegro, Presto, Allegro ma non troppo, Moderato, Vivace / 2006 / 16:21
06 Thomas Gerwin/ Computer Music / 2004/05 / 46:25
07 Thomas Gerwin / Fontaine de Vaclusae - Miniatur / 2004 / 04:06
Der Komponist Thomas Gerwin im Gespräch mit Frank Niehusmann
Frank Niehusmann stellt ein paar Fragen, Thomas Gerwin hat eine Menge zu erzählen: über seine Kompositionen fürs Radio, seine frühe Zeit am ZKM in Karlsruhe, seine Arbeit heute in Berlin - und das Eigenleben mancher seiner Klanggestalten."
(Niehusmann, April 2008)
Frank Niehusmann lebt als freier Komponist in Velbert am Rande des Ruhrgebiets.
Webseite zu Thomas Gerwin: www.thomasgerwin.de
Webseite zu Frank Niehusmann: www.niehusmann.org
KlangWelten-Akzent / 2003 / 0:39
Dieses kurze Klangkonglomerat eröffnet seit 2003 jedes Konzert meiner Konzertreihe „KlangWelten“ in Berlin. Dort interpretiere ich internationale Ars Acustica, elektroakustische Musik, Soundscape Compositions und Radiokunst live auf einem kleinen Lautsprecher-Orchester, dann folgt ein deutschsprachiges Hörspiel und im Anschluß spreche ich mit einem Gast aus der Szene über seine/ihre Arbeit und über das soeben Gehörte. Beim „KlangWelten-Akzent“ geht es mir darum, daß sich der Klang schnell in denRaum hinein ergießt und das Publikum einhüllt und einstimmt. KlangWeltenist eine Veranstaltung von inter art project in Kooperation mit dem Kulturradio des Radio Berlin Brandenburg und dem Südwestrundfunk.
Feuerwerk 17 / 2003/05 / 12:43
Dieses Stück geht zurück auf meine Raum-Klang-Installation „Soundscape No.3“, die ich 2002 für die Ausstellung RESERVOIR im Berliner Wasserspeicher realisierte. Die konzertante Stereofassung versucht, die räumliche Ausbreitung und teilweise sehr subtilen Veränderungen im Klanggeschehen einzufangen und radiophon umzusetzen. Das ganze Stück ist einzig aus Feuerklängen komponiert. Einiges habe ich in Archiven gefunden, die meisten Klänge aber mußte ich selbst produzieren, dies geschah zum Teil zusammen mit dem Feuerkünstler Kain Karawan.
Diese Stereofassung veranlasste 2003 Markus Heuger, mir die Komposition einer großen elektroakustischen Feuer-Komposition („Feuer-Werk“) für das Studio Akustische Kunst zu ermöglichen, die das Material klanglich und vor allem strukturell noch wesentlich weiterentwickelte, in Stereo und in 5.1 produziert wurde und auch als Konzert-Installation präsentiert werden kann.
corrente .. b / 2006 / 05:57
Dieses Stück wurde ausschließlich aus Wasserklängen komponiert, das Wasser befindet sich in einem stetigen Fluß. Die Wasserklänge stammen aus Kanada, Frankreich, Japan und Deutschland. Obwohl sie auf verschiedene analoge und digitale Weisen bearbeitet und verändert wurden, ist das ästhetische Ideal immer ein organischer und flüssiger Transformationsprozess. Deshalb habe ich die Klänge immer äußerst respektvoll behandelt. Denn Klänge sind Lebewesen. Sie werden geboren, verbringen eine gewisse Zeitspanne an bestimmten Orten und sterben dann. Die meisten von ihnen lieben es, soziale Organismen zu bilden. Das Stück hat eine ältere Schwester mit dem selben Familiennamen, aber einer anderen Länge und Struktur, die 1997 geboren wurde.
weit und breit: / 2006 / 16:21
Musique concrète für Alt-Saxophon, Akkordeon und Harfe
1. „Allegro“ / 3:23
2. „Presto“ / 3:38
3. „Allegro ma non troppo“ / 1:09
4. „Moderato“ / 2:14
5. „Vivace“ / 5:32
Dieses Hörstück ist der Beginn einer neuen Werkreihe, es entstand ausschließlich aus nicht verwendeten „Resten“ verschiedener Hörspielmusiken. In den Aufnahmen zu verschiedenen Produktionen gab es immer wieder extreme Hörwinkel, bei denen das Mikrophon z.B. im Korpus eines Instrumentes angebracht wurde, in denen Kontakt- oder Kunstkopfmikrophone Verwendung fanden oder auch Jacklin-Scheiben oder OKM-Mikrophone. Vielfach wurde auch unter der Regie des Komponisten ausgiebig mit anderen, ungewöhnlichen Methoden der Klangerzeugung experimentiert.
Diese klanglichen Hervorbringungen sind teilweise fast vollständig geräuschhaft, haben aber, da sie von traditionellen Musikinstrumenten stammen, auch immer eine Art innere Gestimmheit in sich. Selbst bei sehr perkussiven, extrem kurzen Klängen oder bei fast weißem Rauschen schwingt immer eine Art musikalische Stimmung mit, die bei der Behandlung und Verarbeitung im Computer eine fast tonale Komposition ermöglicht. Es entsteht also eine Art „(a)tonale Geräuschkomposition“. In den fünf Sätzen der vorliegenden Arbeit werden die Klänge sehr frei und nach rein musikalischen Gesichtspunkten untersucht und verschiedene Möglichkeiten des gestimmten Geräusch-Klanges vom reinen Instrumentalklang bis zum Geräusch sowie von Übergängen bzw. Transformationen und von teilweise durch elektronische Operationen vollständig verfremdeten Klängen und Texturen exploriert.
In „weit und breit“ geht es neben der kompositorisch-dramaturgischen Textur auch um die innerklanglichen Räume, die es zu erkunden gilt und die genauso wie die innermusikalischen Räume im Computerstudio neu komponiert und in kontrapunktische Beziehungen gesetzt wurden.
Besonderer Dank gilt den Instrumentalisten aus deren Aufnahmen einzelne Partikel Eingang in das Werk fanden:
Katharina Hanstedt (Harfe), Jens Bogedein (Akkordeon) und Conrado del Rosario (Saxophon).
Computer Music / 2004/05 / 46:25
Ein zweiteiliges Klang(ge)werk aus Hörstück und Raum-Klang-Installation
Die Grundidee des Stückes ist, den gängigen Terminus für ein wichtiges Genre zeitgenössischer Musik wörtlich zu nehmen. Der Computer ist hier nicht nur einziges Instrument zur Bearbeitung und Komposition der Klangmaterialien, sondern außerdem die einzige Klang-Quelle. Dabei möchte das Werk die Grenzen des mittlerweile als Genre-Bezeichnung etablierten Begriffes „Computer Music“ in mehrfacher Hinsicht und Richtung hinterfragen und erweitern. Im Extremfall wird die Music auch durch einen Computer abgespielt, der an eine 5.1-Anlage angeschlossen ist.
Das Hörstück
„Computer Music“ benutzt als einziges Instrument den Computer, als Klangerzeuger und Klangquelle, als Klangbearbeiter und als strukturgebende (= kompositorische) Instanz. Das Hörstück liegt stilistisch zwischen „Musique concrète“, „Digital Music“ und „Soundscape Composition“ und möchte neben dem rein sinnlichen Hörvergnügen, sowohl Grenzen als auch Verbindungslinien zwischen diesen Sparten aufzeigen. (! Am besten sollte man das Stück zuerst hören und dann diesen Text lesen!)
Das beginnt damit, daß ich meine veschiedenen Computer gründlich auf die konkreten Klänge untersuche, die sie beim normalen Betrieb erzeugen – innen und außen. Sodann versuche ich, diese konkreten Klänge zu verändern und zu variieren, indem ich den Computer andere, unübliche Operationen ausführen lassen. Alle diese Klänge werden digital aufgenommen und bilden das Basismaterial der Komposition. Dazu kommen noch Klänge von Peripherie-Geräten wie Maus, Tastatur und verschiedene, teilweise ganz alte Drucker.
Alsdann wird dieses Klangmaterial verschiedensten digitalen Operationen unterworfen. Ich bilde dabei Varationsketten von Material, indem ich einen Klang bearbeite, dann das Ergebnis weiter bearbeite, dann wiederum das Ergebnis bearbeite und so fort, bis ganze Familien und Generationen der Abwandlung eines ursprünglich konkreten Klanges entstehen. Die Nähe oder Ferne eines Klangkonglomerates zu seinem Ursprung wird später in der Endmontage einen der strukturgebenden Parameter darstellen. Durch die verschiedenen Arten der Prozesse, denen ich die konkreten Klänge unterwerfe, entstehen Kategorien von Klängen. Zum Teil werden dieselben Ursprungsklänge unterschiedlichen Prozessen unterworfen, je nachdem, in wieweit dies ein interessantes klangliches Ergebnis erzeugt, zum Teil erfordert ein bestimmter Ursprungsklang auch nur genau einen bestimmten Prozess, um sich zu entwickeln und zu vervollkommnen.
Durch die verschiedenen Prozeduren wie Filtern, Cuttern, Stretchen, Time Shifting, Loopen, Herumdrehehn usw. aber auch Granular Sythese, Resampling, Physical Modeling und verschiedene algorhythmische Verfahren entsteht der Material-Pool, aus dem schließlich das Stück zusammengefügt wird. Die Komposition selbst folgt dann völlig eigenen, rein musikalischen und von den ursprünglichen Klängen und deren Funktionalität gänzlich losgelösten Gesetzen. Hier ist der Computer nur noch mächtiges Instrument, das denkende und fühlende menschliche Subjekt aber einziger Grund der Geschehnisse.
Das Ohr ist immer die höchste Instanz. Gleichzeitig wird durch die konsequente Beschränkung des Instrumentariums versucht, eine hohe Stringenz zu erreichen, die sich auch im Finden und Empfinden einer inneren Logik des Klanggeschehens äußert.
Informationen zur Raum-Klang-Installation siehe:
www.thomasgerwin.de
Fontaine de Vaclusae - Miniatur / 2004 / 04:06
This electroacoustic soundscape composition was inspired by the very interesting place „Fontaine de Vaucluse“ in France where one of the deepest fountains on earth is located. In spring and autumn there is water coming out of the floor all over in this small one end stone valley in the mountains. In summer and winter time the fountain is hidden deep under the earth in an absolutely silent little grotto. Here we did recordings for an experimental film project together with film producers Wolfgang Lehmann and Florian Krautkraemer. This film takes about 60 min. and is made solely of single pictures which where later cut, sliced and processed for the film „Fontaine de Vaucluse“. This composition was made solely out of original sounds recorded at the place. Then the material was processed in many ways in the computer studio – following musical rules and thoughts about steadily development, iteration and variation in sound and rhythm – and then set into relationship to the film pictures. And additionally to this electroacoustic musical concept, throughout the whole piece the sounding significance of „Fontain de Vaucluse“ should be exposed and explored to support an approach of Acoustic Ecology through sensitive senses. This little re-mix was made especially for Canadian Electroacoustic Community and it‘s CD project „PRESENCE III“.
Thomas Gerwin (*8.2.1955) ist klassisch ausgebildeter Komponist und Musikwissenschaftler. Er kam sehr früh zur elektroakustischen Musik, später beschäftigte er sich außerdem intensiv mit "Soundscape Composition". Als Ausdrucksmittel seiner raumkünstlerischen Arbeiten bezieht er immer wieder neue Medien, Theater, Tanz, Film und Skulptur mit ein. Zur Zeit arbeitet er im eigenen Studio verstärkt im Bereich Klang- und Video-Installation und komponiert für Radio und Konzert. Werke von ihm sind weltweit auf 10 Audio-CDs und 4 CD-ROMs erschienen, er komponierte 5 experimentelle Filmmusiken und erhielt verschiedene Preise und Auszeichnungen (u.a. Karl-Sczuka-Förderpreis 1999, Selection Award des American Composers Forum 1999, mehrfach ausgewählt für die International Computer Music Conference (ICMC), ausgewählt für die ISEA Nagoya 2002, Artist in Residence im Artspace, Sidney 2002). Er übernahm die musikalische Gestaltung großer Ausstellungen u.a. des Europa-Pavillons auf der EXPO2000 Hannover, ist seit 2001 Vorsitzender der "Gesellschaft für multisensoriale Kunst" (IfmK) und seit 2002 künstlerischer Leiter des "Berliner Lautsprecher Orchesters".
Thomas Gerwin
inter art project – studio for media art
Calvinstr.13a,
10557 Berlin
Germany
fon +49-30-397 417 34
inter.art.project@t-online.de
www.thomasgerwin.de
Hören Sie auf diesem Sendeplatz Reportagen von Festivals, Symposien, Kongressen und Ausstellungen rund um die vielfältige Szene der elektroakustischen Kunst.